Skip to main content
Ende des Monats geht der langjährige Leiter der Josef-Reding-Schule in den Ruhestand: Nach der Zeugnisausgabe am vergangenen Freitag ist Klaus Helmig schon mit Aufräumarbeiten beschäftigt. (Foto: P. Gräber - Emscherblog)

Schulabgänger mit Bestnoten: Klaus Helmig geht nach 17 Jahren als Leiter Josef-Reding-Schule in Ruhestand

Ende des Monats geht der langjährige Leiter der Josef-Reding-Schule in den Ruhestand: Nach der Zeugnisausgabe am vergangenen Freitag ist Klaus Helmig schon mit Aufräumarbeiten beschäftigt. (Foto: P. Gräber - Emscherblog)
Ende des Monats geht der langjährige Leiter der Josef-Reding-Schule in den Ruhestand: Nach der Zeugnisausgabe am vergangenen Freitag ist Klaus Helmig schon mit Aufräumarbeiten beschäftigt. (Foto: P. Gräber – Emscherblog)

Emscherblog: Sie sind im Februar 2006 von der Gesamtschule Hamm nach Holzwickede an die Josef-Reding-Schule, eine Hauptschule, gewechselt. Das ist ein ungewöhnlicher Wechsel. Sind Sie ganz bewusst zu einer Hauptschule gewechselt, weil Sie von dieser Schulform überzeugt waren?

Klaus Helmig: Das ist nicht ganz richtig. Ich war und bin tatsächlich immer noch als Lehrer von der Gesamtschule überzeugt. Trotzdem bin ich damals ganz bewusst gewechselt. Jedoch nicht, weil ich zu einer Hauptschule wollte, sondern zur Josef-Reding-Schule. Die kannte ich ja. Es war mir nicht so wichtig, dass es eine Hauptschule war. Ich kannte diese Schule, war dort eineinhalb Jahre lang Referendar gewesen und dann 1989 nach Hamm zur Gesamtschule gewechselt. Dort bin ich dann später aus dem Kollegium heraus direkt angesprochen worden: ,Kannst Du nicht als Konrektor zu uns zurückkommen?‘  Mein damaliger Schulleiter in Hamm hat mir natürlich gesagt: ,Herr Helmig, wollen Sie das wirklich machen? Sie wissen doch: Die Hauptschule ist eine sterbende Schulform.‘ Das war damals auch tatsächlich so. Die Schülerzahlen gingen rapide runter. Ich war dann zunächst drei Jahre Konrektor, bevor ich die Leitung übernahm. Meine Vorgängerin im Amt, Erika Ant, sagte damals zu mir, als sie ging: ,Du bist derjenige, der diese Schule hier endgültig abschließt.‘ So ist es aber nicht gekommen. Kaum war ich hier, stiegen die Schülerzahlen — aus welchen Gründen auch immer. Irgendwann wurde dann auch die magische Zahl von 360 Schülern wieder überschritten.    

Emscherblog: Die Hauptschule ist eine Regelschule im dreigliedrigen Schulsystem. Hätte die Josef-Reding-Schule denn einfach so ersatzlos geschlossen werden können?

Klaus Helmig: Natürlich, der verfassungsrechtliche Schutz der Hauptschule ist schon vor einigen Jahren abgeschafft worden. In Unna gibt es beispielsweise auch keine Hauptschule.

Emscherblog: Dort gibt es allerdings noch die Gesamtschule als Ersatz..:

Klaus Helmig: Zur Zeit von Franz Dahlhoff, des ersten Leiters der Josef-Reding-Schule, gab es diese Diskussion ja auch hier in Holzwickede und eine große und Abstimmung um die Gesamtschule. Franz Dahlhoff war danach immer ganz stolz und froh, dass die Hauptschule in Holzwickede nicht abgeschafft wurde. Eigentlich war es damals schon, wie es auch heute noch ist: Die Josef-Reding-Schule hat einen ganz guten Namen in der Gemeinde und auch in weitem Umfeld von Holzwickede. Irgendwann rief mich auch mal eine Mutter aus Hagen an. ,Sind Sie sicher, dass Sie die richtige Schule angerufen haben?‘, fragte ich sie. ,Ist das nicht ein bisschen weit?‘ — Nein, mit der Bahn sind es nur zwei Stationen: Hagen, Schwerte und dann schon Holzwickede‘, erklärte mir die Mutter. ,Außerdem war meine älteste Tochter bei ihnen in der Klasse von Frau Adolph. Glauben Sie mir, ich weiß, was ich tue.‘ Kurz darauf hat mich auch noch ein Schüler aus Bochum angerufen, der zu uns wechseln wollte, weil er ,so viel Gutes von ihrer Schule gehört‘ hatte. Tatsächlich hat die Josef-Reding-Schule ein sehr großes Einzugsgebiet.

Emscherblog: Aus Sicht der Gemeinde ist das aber auch problematisch und nicht uneingeschränkt begrüßenswert. Inzwischen kommt eine Mehrheit der Schüler dieser Schule gar nicht aus Holzwickede. Es ist eigentlich nicht Aufgabe der Gemeinde, Schüler aus dem Umland zu beschulen. Genau darüber hat sich übrigens eine Ihrer Vorgänger, Heinz-Jürgen Kichertz, häufig öffentlich beklagt.  Dabei würde es die Josef-Reding-Schule ohne diese auswärtigen Schüler wohl gar nicht mehr geben.

Ja, da komme ich nochmal auf meine Gesamtschulzeit zurück. Was ich dort gelernt habe: Egal, wie ich das System finde, es gibt auch Schüler, für die ist eine Gesamtschule einfach nicht gut.

Emscherblog: Wie würden Sie diesen Typ Schüler beschreiben?

Klaus Helmig: Das sind Schüler, egal wie alt, die eine persönliche Ansprache oder Betreuung brauchen. Die brauchen ein anderes System als das, was Gesamtschulen systembedingt fahren müssen. Ich meine das Fachlehrer-Prinzip. Wir hier an der Hauptschule haben dagegen das Klassenlehre-Prinzip. Man könnte auch sagen:  Wenige Nasen vor dem Pult und wenige Nasen hinter dem Pult.

Emscherblog: Nicht alle Gesamtschule sind Mammutschulen. In Holzwickede wäre eine Gesamtschule doch sicher kleiner:

Klaus Helmig: Richtig, aber auch die kleinste Gesamtschule muss vier Eingangsklassen bilden und mindestens vierzügig sein in jedem Jahrgang. Da kommt in der Gesamtheit dann doch eine große Schülerschaft zusammen. Und wo fängt Mammut an? Die Peter-Weiss-Gesamtschule hat knapp 1.000 Schüler, die Werner-von Siemens in Königsborn ist etwas kleiner, was dazu führt, dass dort regelmäßig Schüler abgewiesen werden müssen. Die gehen dann meist zur Peter-Weiss-Gesamtschule. Tatsache ist: Wenn ich Anfragen von einer Gesamtschule bekomme für Schüler, die zu uns wechseln wollen, dann wird das fast immer damit begründet, dass diese Schüler mit dem großen System dort nicht klarkommen.

Emscherblog: Würden Sie so weit gehen und sagen, dass man lernschwächere Schüler an der Hauptschule besser fördern kann, als an einer Gesamtschule?

Klaus Helmig: Das würde ich gar nicht nur auf lernschwächere Schüler begrenzen wollen. Wir wissen doch alle, dass Schüler auch sozial eingebunden sein müssen. Das funktioniert nur, wenn alle Lehrer einer Schule alle Schüler kennen und diese persönlich angesprochen werden können und insbesondere die Klassenlehrer auch tatsächlich einen Großteil ihrer Zeit mit ihrer Klasse verbringen. Nur dann sind sie in der Lage, Schwierigkeiten im sozialen Umgang und beim Lernen zu erkennen. Wenn beispielsweise ein Lehrer zu mir kommt und sagt: ,Du, da ist irgendetwas mit dem Schüler X. Der kommt mir so komisch vor, da müssen wir mal genauer hinsehen.‘ So etwas funktioniert wirklich nur in einem kleineren System.

Emscherblog: Und dazu ist zwingend das Klassenlehrer-Prinzip nötig?

Klaus Helmig: Das bedingt sich. Spätestens ab Jahrgang 7, wenn viele Fächer dazukommen und es die Fachleistungsdifferenzierung gibt. Dann sind logischerweise auch wieder mehr Nasen hinter dem Pult. Da ist es dann ein großer Vorteil, dass es bei uns kleinere Klassen gibt. Es macht eben einen Riesenunterschied, ob es 20 oder 30 Schüler in einer Klasse sind. Da kann ich auf jeden einzelnen Schüler zugehen. Hinzu kommen auch noch die vielen zusätzlichen Anforderungen, die wir haben.

Emscherblog: Welche zusätzlichen Anforderungen meinen Sie konkret?

Klaus Helmig: Wir sind schon früh eine Schule des Gemeinsamen Lernens geworden. Ich erinnere mich noch gut, als ich die Eltern hier in einer Versammlung darüber informierte, dass wir in einer Klasse auch Schüler mit Förderschwerpunkt Lernen haben und diese nicht zielgleich unterrichtet werden. Damals hatten Eltern noch die Möglichkeit zu sagen, dass sie nicht möchten, dass ihr Kind mit Schülern in der Klasse zusammen sind, die einen besonderen Förderbedarf Lernen haben. Weil befürchtet wurde, dass das Lerntempo verringert wird. Es gab aber nur einen Vater, der nicht wollte, dass sein Kind mit in die Inklusionsklasse kommt. Alle anderen Eltern waren damit einverstanden. Wobei es natürlich auch Vorteile in einer Inklusionsklasse gibt.

Emscherblog: Es ist ja immer etwas schwierig für eine amtierende Schulleitung, sich zur Schullandschaft einer Kommune zu äußern. Haben Sie es damals eigentlich bedauert, dass die Verbundschule in Holzwickede gescheitert ist?

Klaus Helmig: Ja, ich hätte mir das gut vorstellen können. Insbesondere besondere für die Realschüler aus Holzwickede, die nach Massen pendeln müssen. Die Gemeinde als Schulträger sieht das nochmal ganz anders. Die Gemeinde muss als Schulträger für die Schüler, die von auswärts kommen, die Fahrtkosten übernehmen. Auch ich habe natürlich irgendwann mal die Ansage gekriegt, dass es so nicht weitergehen kann. Da habe nur gesagt: Wir sind aber auf diese auswärtigen Schüler angewiesen. Wenn wir die nicht haben, reichen die Schülerzahlen für diese Schule nicht. Von unseren aktuell knapp 240 Schülern kommt nur ein Drittel aus Holzwickede, etwa ein Drittel aus Unna und das letzte Drittel aus dem übrigen Umland.

Emscherblog: So richtig verstehe ich die Ansage auch nicht. Sie hätten doch sowieso nichts an dieser Situation ändern können:

Klaus Helmig: Das ist schon richtig, aber man hätte diese Hauptschule ja auch einfach sterben lassen können. Doch das war nie Absicht der Gemeinde. Ganz im Gegenteil. Die Gemeinde hat immer gesagt: Wir stärken unsere Hauptschule und unterstützen sie.

Emscherblog: Es gibt ja auch keine Alternative dazu.

Klaus Helmig: Doch, klar. Dann hätten wir nur noch ein Gymnasium. Sorry, aber wie elitär wäre das denn… Wir waren tatsächlich schon kurz vor dieser Situation. Es ist noch nicht lange her, als wir nur zwölf Anmeldungen hatten. Da waren wir alle schon in den Startlöchern. Bei einer Schülerzahl von nur 15 hätten wir noch eine Ausnahmegenehmigung von Arnsberg bekommen, trotzdem noch eine Eingangsklasse bilden zu können. Normalerweise braucht man 18 Schüler dafür. Es ist dann aber so gekommen, dass wir plötzlich zu Schuljahresbeginn diese 18 hatten. Wenn es bei 14 geblieben wäre, dann wäre damals schon das Ende eingeläutet worden. Wir hätten keine Genehmigung mehr zur Bildung einer Eingangsklasse bekommen. Eine Schule dann noch zu betreiben wäre zwar möglich, aber es wäre sehr ungünstig. Im Folgejahr würde diese Schule dann auslaufend gestellt. Arnsberg hat danach selbst eine große Erhebung gemacht. Nach der Auswertung wurde dieser Schule dann eine Bestandsgarantie bis zum Jahr 2023 gegeben. Eine neue Untersuchung gibt es noch nicht.

An einer Hauptschule herrsxcht nicht immer Freide, Freude, Eerkuchen: Klaus Helmig bei der Feuer zum 50. Geburtstag der Josef-Reding-Schule vor fünf Jahren im Forum. (Foto: P. Gräber - Emscherblog)
An einer Hauptschule herrsxcht nicht immer Freide, Freude, Eerkuchen: Klaus Helmig bei der Feier zum 50. Geburtstag der Josef-Reding-Schule vor fünf Jahren im Forum. (Foto: P. Gräber – Emscherblog)

Emscherblog: Es herrscht also immer ein großes Zittern vor den Anmeldungen zum neuen Schuljahr?

Klaus Helmig: Nein, in der Regel ist es schon so, dass wir doch noch immer auf die erforderliche Zahl kommen. Beim letzten Schuljahreswechsel haben wir aus der einen 5., die wir hatten, sogar zwei 6. Klassen machen müssen. Die Zügigkeit einer Hauptschule wird tatsächlich erst mit Beginn der Klasse 7 festgestellt. Das hat damit zu tun, dass die beiden ersten Schuljahre Erprobungsstufe sind und erst mit dem Übergang in das 7. Schuljahr der Bildungsgang festgelegt wird. Da sind wir, anders als die anderen Schulformen, immer stärker geworden. Jedes Gymnasium wird beim Übergang von der 6. zur 7. kleiner, wir dagegen werden dann immer größer. Das ist eine Geschichte, die sich der Schulträger und die Aufsichtsbehörde genau anschauen müssen. Wenn wir diese Basis aus der 5. nicht mehr haben, wird es eng. Im dreigliedrigen Schulsystem ist es so: Wenn ein Schüler die Erprobungsstufe an der Realschule nicht erfolgreich beendet, dann müssen wir als Hauptschule ihn aufnehmen. Eine Gesamtschule muss diesen Schüler nicht aufnehmen. Wir können diesen Schüler nicht ablehnen. Wenn wir aber nicht mehr da sind, können wir das natürlich nicht mehr.

Emscherblog: Was würde dann mit solchen Schülern aus Holzwickede passieren, wenn es hier keine Hauptschule mehr gäbe?

Klaus Helmig: Im Kreis Unna kämen für sie dann noch die Hauptschule in Bönen oder die in Kamen infrage, vielleicht auch noch in Selm. Dann müssten noch mehr Kinder pendeln aus Holzwickede und vor allen Dingen sehr viel weiter. Dann kämen wir in die Bredouille, dass nur ein Schulweg von maximal eineinhalb Stunden pro Schulweg zulässig ist. Das wäre ein großes Problem. Ich möchte aber noch einmal betonen: Wir krebsen nicht am Existenzminimum. Die Josef-Reding-Schule hat aktuell sogar einen Aufnahmestopp in der 8., 9. und 10. Da können wir gar keine Schüler mehr aufnehmen. Das zeigt doch: Diese Schule wird benötigt. Holzwickede könnte es sich also gar nicht erlauben, eine Hauptschule zu schließen und nur noch ein Gymnasium zu haben. Andererseits muss die Gemeinde natürlich nach wie vor sehen, möglichst alle Schüler aus Holzwickede auch am Ort beschulen zu können.

Emscherblog: Das ist die große Frage, wie das gehen kann. Sehen Sie noch mögliche Veränderungs- oder Entwicklungsmöglichkeiten für die Schullandschaft in Holzwickede?

Klaus Helmig: Derzeit ist ja ein neuer Schulentwicklungsplaner beauftragt, das zu untersuchen. Ich weiß natürlich nicht, was bei dieser Untersuchung herauskommt. Tatsächlich sehe ich aber nur die eine Möglichkeit, basierend auf den Schülerzahlen in der Gemeinde, dass man die Hauptschule und das Gymnasium schließt und aus beiden Schulen eine Gesamtschule macht. Abgesehen davon, dass es dagegen natürlich politischen Widerstand geben würde, weiß ich nicht, ob das angesichts der demografischen Entwicklung überhaupt noch möglich wäre. Es müssten ja vier Eingangsklassen gebildet werden können. Denn für eine Gesamtschule bräuchte man vier Züge. Jetzt ist unser Gymnasium dreizügig und wir sind einzügig – es wäre also ziemlich knapp.

Emscherblog: Zumal es an beiden Schulen auch noch einen relativ hohen Anteil auswärtiger Schüler gibt.

Klaus Helmig: Außerdem ist doch die Frage, ob Eltern, die ihr Kind normal zum Gymnasium schicken würden, ein solches Angebot annehmen. Diese Kinder gehen dann nach Unna zum Gymnasium.

Emscherblog: Vermutlich. Es scheint in Holzwickede noch immer große ideologische Vorbehalte gegen eine Gesamtschule zu geben. Können Sie das nachvollziehen?

Klaus Helmig: Wie gesagt, mir hat das Gesamtschulsystem eigentlich immer sehr zugesagt und ich vertrete das auch noch immer mit Überzeugung. Doch die Hauptschule wird auch benötigt. Wichtig ist, dass eine Hauptschule vernünftig geführt und diese Schulform von außen nicht als Abstellgleis wahrgenommen wird, sondern so wie in Holzwickede passiert. Ich bin zwar selten auf dem Markt, höre das aber immer wieder, dass diese Schule einen guten Ruf hat und dass wir uns hier um die Kinder sorgen. Das machen wir auch tatsächlich. Erst diese Woche gab es eine Informationsveranstaltung der Berufskollegs und der Gesamtschulen, die eine Oberstufe anbieten für unsere Schulabgänger im Juni. Die sind immer sehr interessiert an unseren Schülern. Gerade die Gesamtschulen nehmen unsere Schüler ausgesprochen gerne, weil sie wissen: Die haben Arbeiten gelernt. Unsere Schüler haben das auch nachgewiesen. Es ist ja nicht so, dass wir hier etwas verschenken. Wir kümmern uns halt sehr. Das geht schon in der 5. Klasse los, dass wir statt der üblichen vier Stunden in Deutsch, Englisch und Mathe teilweise sechs Stunden pro Woche anbieten. Das können wir gut machen, weil wir diesen Ganztag haben. Ich erinnere mich, dass ein Gesamtschüler in der 6. Klasse zu uns wechseln wollte. Nach dem Probeunterricht bei uns kam er dann zu mir und meinte: ,Herr Helmig, in Englisch sind sie aber total weit. Da bin ich kaum mitgekommen.‘ Kein Wunder, habe ich ihm erklärt: ,Du hast an der Gesamtschule vier Stunden und wir sechs Stunden Englisch.‘ Wir nehmen uns diese Zeit und dann kann man auch mehr machen. Die Schüler brauchen diese zusätzliche Zeit auch. Da legen wir dann den Grundstock und anschließend geht es nach oben hin gut weiter.

Emscherblog: Die Hauptschule ist dann auch ergebnisoffen, d.h. ihre Schüler können alle Schulabschlüsse erreicht werden:

Klaus Helmig: Richtig. In unserem letzten Jahrgang, den wir im Sommer entlassen haben, hatten wir wirklich die besondere Situation, dass die Hälfte aller Schüler aus der 10b, das ist die Klasse, die in der Regel den mittleren Schulabschluss (= Realschulabschluss) vergibt, auch die Qualifikation für die gymnasiale Oberstufe bekommen haben.

Emscherblog: Es gibt aber immer auch Schüler, die keinen Hauptschulabschluss schaffen.

Klaus Helmig: Ja, doch das sind nicht sehr viele und man muss sich die Statistik genau ansehen, warum das so ist. Einige dieser Schüler sind beispielsweise noch in der Erstförderung der deutschen Sprache. Die bekommen bei uns gar keinen Schulabschluss, sondern gehen danach auch in die internationale Klasse der Berufskollegs. Dann gibt es auch Schüler in der Statistik, die einfach nur umgezogen sind und darum bei uns keinen Schulabschluss mehr bekommen haben. Eine solche Statistik muss man immer genau lesen. Letztlich waren es drei Schüler in dem letzten Jahrgang, die keinen Abschluss bekommen haben. Da muss man auch ehrlich sagen: Wir können auch nicht alle retten. Wenn jemand nicht will, was sollen wir dann machen. Das sind aber große Ausnahmen. Außerdem: Auch an Gymnasien scheitern Schüler, die gehen nur vorher ab oder wechseln die Schulform. In der 12. sind sie dann auf einmal weg.

Emscherblog: Nur damit kein Missverständnis aufkommt, noch eine letzte Frage zur Schullandschaft: Plädieren Sie als scheidender Leiter einer Hauptschule etwa für die Errichtung einer Gesamtschule in Holzwickede?

Klaus Helmig: Nein, das tue ich nicht. Ich sehe die Notwendigkeit unserer Schule. Das zeigen auch die Schülerzahlen der Josef-Reding-Schule ganz klar. Das glaube ich insbesondere wegen der zusätzlichen Aufgaben, die wir in jüngster Zeit aufs Auge gedrückt bekommen haben. Es beginnt mit dem gemeinsamen Unterricht, den wir vorher eigentlich auch schon die ganze Zeit praktiziert haben, der aber nun institutionalisiert wurde. Jetzt sind wir Schule des Gemeinsamen Lernens. Dann kam noch die Geschichte mit „Go In“ dazu. Besonders gravierend war es, als die Flüchtlinge aus Syrien zu uns gekommen sind und zuletzt zusätzlich auch aus der Ukraine. Diese Flüchtlinge laufen zunächst einmal alle beim Kommunalen Integrationszentrum (KI) auf. Da wird ein Erfassungsbogen erstellt und dann versuchen sie vom KI, die Kinder an den Schulen unterzubringen. Von den anderen Schulen, den Gesamt-, Realschulen und den Gymnasien, wird dann gemeldet: Wir sind voll. Dann rufen die vom KI bei mir an und ich darf ja nicht lügen und behaupten, dass wir voll sind. Also nehmen wir diese Kinder auf und haben hier ein Riesenproblem, weil alle diese Kinder Anspruch auf eine Erstförderung für zwei Jahre haben. Wir machen dann hier acht bis zwölf Stunden pro Woche Förderunterricht in Deutsch mit ihnen. Dafür brauche ich Lehrer, also Kolleginnen oder Kollegen, die ich glücklicherweise habe.

Emscherblog: Andernfalls würde der Förderunterricht wohl auch zulasten der übrigen Schüler gehen:

Klaus Helmig: Genau. Es gibt ja diese zwei Systeme: In Dortmund werden alle diese Schüler, die nicht Deutsch können, in einer sogenannten Willkommensklasse zusammengefasst und darin bleiben sie dann für zwei Jahre. Danach gehen sie, wenn sie es einigermaßen hinkriegen, in die Regelklassen über. Bei uns an der Schule bekommen diese Schüler diese acht bis zwölf Stunden Förderunterricht pro Woche und den Rest der Zeit – das sind nochmal 24 Stunden – gehen sie in die normale Klasse und lernen dort Deutsch nachdem Prinzip des 13. Kriegers, d.h. sie lernen Deutsch durch Zuhören.

Emscherblog: Von wie vielen Schülern reden wir denn gerade?

Klaus Helmig: Insgesamt haben wir knapp 40 Sprachförderschüler. Aus der Ukraine sind es gar nicht so viele, wie man meinen könnte. Die meisten kommen aus Syrien oder dem übrigen arabischen Sprachraum, dazu vereinzelt noch anderen Nationen und überraschend viele Rumänen. Das ist insgesamt schon eine ganze Menge. Das Problem dabei ist, dass alle aus unterschiedlichen Jahrgängen sind und auch ganz unterschiedliche Voraussetzungen haben. Einige haben bis zu ihrem 10. Lebensjahr überhaupt keine Schule gesehen. Andere sind nur sporadisch im Libanon zur Schule gegangen und hatten dann in einem Auffanglager in der Türkei etwas Unterricht. Während dieser Zeit sind sie dann teilweise auch schon zum Arbeiten geschickt worden. Das sind Dinge, die will man eigentlich gar nicht alle wissen. Teilweise sind diese Kinder und Jugendlichen nicht einmal alphabetisiert. Wenn sie aus dem arabischen Sprachraum kommen, können sie zwar wunderbar Arabisch schreiben und rechnen. Interessanterweise gibt es in Syrien zwei Zahlsysteme, die sich von unserem unterscheiden. Ich habe lernen müssen, dass es auf der Welt über 100 verschiedene Zahlensysteme gibt.  Früher habe ich immer gedacht, Mathematik wäre unsere gemeinsame Sprache und es gebe nur eine Mathematik auf der Welt. Das ist falsch. Wir hatten mal einen Schüler aus der Dominikanischen  Republik, der überhaupt keine Mathe konnte. Die Mutter hat mir gesagt: ,Wir rechnen in der Dominikanischen Republik auch ganz anders als hier.‘ Ich habe ihr dann erklärt: ,Ihr Sohn kann gerne anders rechnen, solange er zum richtigen Ergebnis kommt.‘ Wenn solche Kinder zu uns in die 7. Klasse kommen und erst alphabetisiert werden müssen, ist das ein ganz schöner Spagat, der da von uns verlangt wird.

Emscherblog: Noch eine persönliche Frage: Wenn am 31. Januar endgültig Schluss für Sie ist hier in der Josef-Reding-Schule, kommt dann die große Langeweile auf oder haben Sie auch Hobbies?

Klaus Helmig: Zunächst einmal werde ich das hier alles bis zur letzten Stunde auskosten. Man sagt zwar: Ein Leben ohne Stundenplan ist sinnlos. Doch es ist schon so, dass ich hier immer zeitlich stark eingebunden war. Dabei wollte ich eigentlich nie Lehrer werden. Nun gut, es ist dann ein bisschen anders gelaufen. Ich wollte damals entweder etwas im naturwissenschaftlichen Bereich machen oder Schreiner werden. Doch ich bin dann ja Physik- und Technik-Lehrer geworden, was genau damit zu tun hat. Ich habe auch eine komplette Werkstatt zu Hause und die ganze Zeit über immer schon Möbel geschreinert. Ich habe auch 30 Jahre lang an meinem Haus herumgebaut vom Erd- bis zum Dachgeschoss. An unserem Haus habe ich alles selbst gemacht, selbst die Wasserleitungen gelegt. Der Garten ist natürlich auch ein Thema. Die letzten Jahre habe ich schon immer meine Tomaten selbst gezogen, voriges Jahr auch Erdbeeren vorgezogen. Aber der Garten ist im Großen und Ganzen fertig, da sind nur noch ein paar Bäume, die ich umlegen muss.

Emscherblog: Sie sind also handwerklich begabt?

Klaus Helmig: Im Alter von fünf Jahren habe ich meine erste Garage gebaut – unter Anleitung.

Emscherblog: Das will ich gerne glauben. Die Frage ist nur, ob sie noch steht.

Klaus Helmig: Klar (lacht), was handwerkliche Dinge angeht, mache ich eigentlich alles selbst. Durch den Technik-Beruf habe ich alles dafür gelernt. Ich kann Elektrik, Metall, Schweißen, Bautechnik und auch Mauern. Wie man Wände verputzt, habe ich von meinem Vater gelernt, der war Bau-Ingenieur und hat es mir beigebracht. Ich klettere auch regelmäßig auf dem Dach herum und werde mir demnächst aus Nachhaltigkeitsgründen ein paar Solarzellen aufs Dach setzen. Ich überlege auch Klimageräte zu installieren, um etwas Gas zu sparen. Langweilig wird es mir also nicht. Das sind alles Sachen, die noch zu machen sind und die über die ganzen Jahre liegen geblieben sind, wofür ich dann Zeit habe. Natürlich kommt da auch noch das Fahrradfahren hinzu. Ich bin schon immer auch bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad zur Schule gefahren, auch schon zur Gesamtschule nach Hamm. Das waren allerdings mit 33 km je Strecke noch etwas mehr Kilometer als nach Holzwickede. Diese Strecke von der Schule nach Hause zu fahren, war auch psychisch eine sehr gute Maßnahme. Man lässt auf diesen 33 km so viel an Ärger zurück. Meine Familie hat mich immer gefragt, wenn ich mal wieder ,unausstehlich‘ war: ,Bist Du nicht mit dem Fahrrad gefahren?‘

Emscherblog: Steht eigentlich schon fest, wer ihr Nachfolger wird:

Klaus Helmig: Nein, da gibt es auch ein Problem. Tatsächlich ist die Stelle letzte Woche zur Besetzung am 1. Februar ausgeschrieben worden. Die Bewerbungsfrist endet allerdings erst am 22. Februar, sodass vor März wohl nicht zu erfahren ist, ob es einen oder mehrere Kandidaten gibt. Bis eine neue Schulleitung gefunden ist, wird Christina Funke als Konrektorin die Leitung der Josef-Reding-Schule übernehmen.

Emscherblog: Es ist wohl auch nicht damit zu rechnen, dass die Bewerberinnen oder Bewerber Schlange stehen:

Klaus Helmig: Vermutlich nicht. Es könnte aber sein, dass der gute Ruf der Josef-Reding-Schule dazu führt, dass jemand sagt: „Okay, eine funktionierende kleine Hauptschule kann ich mir gut vorstellen…“ Grundsätzlich ist es aber so, dass unglaublich viele Leitungsstellen an Schulen nicht besetzt sind.

Symbolträchtiges Bild: In seiner Zeit als Leiter der Josef-Reding-Schule war das Kollegium eine Stütze für ihn -- und umgekehrt: Klaus Helmig (untere Reihe Mitte) bei den Proben für eine Zirkusaufführung der Schule. (Foto: P. Gräber - Emscherblog)
Symbolträchtiges Bild: In seiner Zeit als Leiter der Josef-Reding-Schule war das Kollegium eine Stütze für ihn — und umgekehrt: Klaus Helmig (untere Reihe Mitte) bei den Proben für eine Zirkusaufführung der Schule. (Foto: P. Gräber – Emscherblog)

Emscherblog: Woran liegt das?

Klaus Helmig: Jetzt muss ich vorsichtig sein und nicht zuviel sagen. Ich will es mal so formulieren: Wenn man in diesem Büro sitzt, hat man einen ganzen Haufen unterschiedlicher Klientel, um die man sich kümmern muss. Da kommen natürlich immer die Schüler. Wenn ich den Namen nicht auf Anhieb weiß, geht es meistens recht schnell. Wenn ich aber den Namen kenne, ist das eher ein schlechtes Zeichen. Dann ist der Schüler nämlich schon häufiger hergekommen. Dann muss man in Zusammenhang mit Ordnungs- oder auch pädagogischen Maßnahmen immer sehr viele Gespräche führen. Denn natürlich haben wir nicht lauter Engel hier. Das ist das eine. Selbstverständlich werden auch die Lehrerinnen und Lehrer, was diese Sachen angeht, von mir beraten und betreut und wir besprechen gemeinsam, was zu tun ist. Dann muss didaktisch und pädagogisch der große Rahmen abgesteckt werden. Ein Beispiel ist die Digitalisierung. Da sind wir durch die Gemeinde wirklich sehr gut ausgestattet worden, was Whiteboards und I-Pads angeht. Die Geräte sind da, aber die Arbeit damit muss natürlich auch pädagogisch umgesetzt werden. Die nächsten Klientel sind die Eltern, die vielleicht mit dem einen oder anderen Lehrer ein Problem haben. Das kommt vor und kostet immer viel Zeit. Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, dass ich mir auch immer für jeden viel Zeit nehme, was dazu führt, dass ich dann auch öfters mal erst im Dunkeln nach Hause komme. Dann ist da auch noch die Zusammenarbeit mit außerschulischen Trägern wie der Caritas oder In Via. Dieses Projekt gibt Kinder, die durch Schulabsentismus glänzen, eine zweite Chance in kleinen Lerngruppen. Man steht auch mit dem Kommunalen Integrationszentrum und den anderen Schulen im Kreis in ständigem Kontakt, um individuell für einzelne Schüler Vereinbarungen zu treffen. Als Schulleiter ist man mit einer Unmenge an Klienten in Kontakt und natürlich steht über allen die Schulaufsicht in Arnsberg bzw. das Schulministerium, die Aufgaben mit Erlassen abfordern. Was das angeht, bin ich eigentlich eher so derjenige, der bei einer Anweisung erst einmal versucht, den Weg drumherum zu finden. Wenn zum Beispiel in einem Schulgesetz ,in der Regel“ steht, finde ich das immer eine super Formulierung. Denn dann sage ich mir: Okay, wir befinden uns eben außerhalb einer Regel… Es ist doch schön, dass man trotz aller Vorschriften noch immer kreativ sein kann.

Emscherblog: Noch eine letzte Frage: Gibt es etwas, was Sie ihrem Nachfolger oder ihrer Nachfolgerin mit auf den Weg geben oder raten würden?

Klaus Helmig: Also, wenn es jemanden gibt, der hier anfängt, dann kriegt er ein gutes Kollegium. Wenn ich dieses gute Kollegium nicht die ganze Zeit über gehabt hätte, wäre es noch sehr viel anstrengender für mich geworden, als es im Nachhinein betrachtet gewesen ist. Das heißt aber auch, man muss so ein Kollegium gut behandeln, um keinen Gegenwind zu kriegen. In der Vergangenheit hat es auch Situationen gegeben, wo die Atmosphäre zwischen Schulleitung und Kollegium nicht so die beste war. Mein Nachfolger sollte vielleicht auch nicht den Fehler machen, den ich gemacht habe. Mir wurde schon früh gesagt, dass ich mehr delegieren muss. Das habe ich früher nicht beherzigt. Ich bin halt so jemand, dem es nicht gut genug ist, wenn ich es nicht selber mache. Dadurch halst man sich unglaublich viel auf. Ich habe gelernt: Man sollte sich einfach mal umsehen, es sind genügend Kapazitäten da. Man kann sich auf dieses Kollegium verlassen, die machen das schon. Ich habe das gerade noch einmal ganz aktuell mitbekommen, als wir unsere Förderzeugnisse —  sehr sportlich — auf Ankreuz-Zeugnisse umgestellt haben. Da hat das Kollegium wirklich in kürzester Zeit unglaublich mitgezogen und wir haben es fertig bekommen. Das war eine meiner letzten positiven Erfahrungen hier. Darum wäre mein Ratschlag an meinen Nachfolger: Verlass Dich auf das Kollegium, die kriegen das schon hin.

Josef-Reding-Schule, Klaus Helmig


Peter Gräber

Dipl.-Journalist

Kommentare (2)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert