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Unübersichtliche Spur der Gewalt: Drei junge Holzwickeder wegen Raubes vor Gericht

Es gibt übersichtlichere Verhandlungen als die, die heute (21. Oktober) vor dem Jugendschöffengericht Unna eröffnet wurde. Dort hatten sich die Holzwickeder J.K. (19 Jahre), D.K. (20 Jahre), beides Berufsschüler, sowie der Auszubildende S.M. (19 Jahre) wegen gemeinschaftlichen Raubes in unterschiedlichen Fällen zu verantworten. Nicht nur, dass sich die verschiedenen Taten von mehreren Angeklagten in einem Zeitraum von November 2018 bis Oktober 2019 ereignet haben sollen und die Zeugen, so sie denn überhaupt erschienen, sehr widersprüchliche Aussagen machten. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Polizei auch noch ziemlich schlampig ermittelt hat.

Was die Anklage den drei Angeklagten konkret vorwirft: Am 17. Juli vorigen Jahres sollen sie in den frühen Morgenstunden in Bochum vor einer McDonald‘s Filiale den 20jährigen K. und seinen 23jährigen Freund E., zwei Nachtschwärmer, die zufällig vorbei kamen, nach kurzem Wortgefecht angegriffen und verprügelt haben. Als K. hilflos auf dem Boden lag, sollen sie mit seinem Rucksack geflüchtet sein. Darin befanden sich ein I-Phone, ein älteres Samsung-Handy, 15 Euro Bargeld, der Reisepass und die Zahnspange des Geschädigten sowie einige Badeartikel. Ihr 20jähriges Opfer musste mit einer schweren Gehirnerschütterung, aufgeplatzter Lippe und Schürfwunden in ein Krankenhaus verbracht werden.

Rucksack geraubt vor McDonald’s in Bochum

Außerdem soll der Angeklagte D.K. (20 J.) – dieses Mal begleitet von S.M. und einem weiteren Freund – am 9. Juni vorigen Jahres vor der Diskothek Zeche in Bochum gegen 23 Uhr den 26 Jahre alten Ö. bewusstlos geschlagen haben. Als der Geschädigte am Boden lag, sollen er und einer seiner Begleiter ihn weiter geschlagen und getreten haben. Mit einer Gehirnerschütterung und mehrfach gebrochener Nase musste das 26jährige Opfer anschließend mehrere Wochen ärztlich behandelt werden.

Noch früher, am 4. November 2018, soll der 19jährige Angeklagte S.M. mit seinem Freund E.B. eine Gartenhütte an der Poststraße in Holzwickede aufgesucht haben, in der sich ein 20 und 21 Jahre altes Brüderpaar sowie T.F. als dritte Person aufhielten. Gemeinsam mit seinem Kumpel soll S.M. die drei Anwesenden mit einem Brotmesser, das sie auf dem Tisch in der Hütte vorfanden, bedroht und aufgefordert haben, ihre Wertgegenstände und Geld abzuliefern. Mit neun Euro und einigen Wertgegenständen sollen sie anschließend verschwunden sein.

Mit dem Anklagevorwurf vom 17. Juli 2019 konfrontiert, räumte der Angeklagte S.M. heute ein, dass er den Geschädigten K. vor McDonald’s geschlagen hat. „Aber nicht ins Gesicht.“ Nach einem Diskobesuch sei man zu Viert auf dem Weg zum Auto seiner Mutter gewesen, das vor dem McDonald’s parkte. Alle seien angetrunken gewesen. Die beiden jungen Männer, die der Gruppe entgegen kamen seien auch alkoholisiert gewesen. „Es kam zum Streit, worum es ging, weiß ich nicht mehr.“ Die Sache eskalierte und er habe zugeschlagen. Auch die anderen hätten sich geprügelt. Dass dem Geschädigten der Rucksack weggenommen wurde, will S.M. nicht mitbekommen haben. Den Rucksack habe er erst später im Auto gesehen, mit dem alle vier nach der Schlägerei eilends nach Holzwickede zurück fahren wollten. Ob E.B. als vierte Person in der Gruppe das Auto gefahren hat, wie die Richterin Birgit Vielhaber-Karthaus wissen wollte, konnte S.M. nicht mehr sagen.

Allerdings: Weder die beiden Geschädigten noch die Polizei, die das Fahrzeug mit den Angeklagten in einer Verkehrskontrolle stoppte, erwähnen eine vierte Person. Vielmehr ist stets nur von den drei Angeklagten die Rede in den Akten.

Polizeiarbeit fehlerhaft

Der Angeklagte J.K. ließ über seinen Anwalt erklären, dass er bei der Gruppe zwar dabei, aber „an der Auseinandersetzung nicht beteiligt“ gewesen war. In dem Polizeibericht, der in der Tatnacht aufgenommen wurde, sei vermerkt, dass „der Haupttäter ein südländischer Typ“ gewesen sei. „Ich sehe hier aber keinen südländischen Typ“, so der Verteidiger mit Blick auf die drei Angeklagten. E.B., der vierte Person im Bunde gewesen sein soll, ist offenbar ein solcher Typ. Dessen Mutter habe sogar auch noch bei der Polizei angerufen und erklärt, dass ihr Sohn offenbar in eine Schlägerei verwickelt worden sei, so der Verteidiger von J.K.. Auch hätten die Beamten jemanden weglaufen sehen, als sie das Auto mit den Angeklagten anhielten. „Es ist sehr traurig, wie die Polizei hier ermittelt hat und E.B. nicht angeklagt wurde, nur weil er der einzige ist, der in der Tatnacht entkommen konnte.“

„Da kann man als Gericht nur bittere Tränen weinen.“

Richterin Birgit Vielhaber-Karthaus

Obendrein habe die Polizei auch noch Beweismittel wie die gestohlenen Handys nicht gesichert, sondern diese wieder an die Beteiligten übrgeben. Was Richterin Birgit Vielhaber-Karthaus mit Blick auf die Polizeiarbeit so kommentierte: „Da kann man als Gericht nur bittere Tränen weinen.“

D.K., der dritte Angeklagte, bestätigte ebenfalls, dass E.B. die vierte Person in der Gruppe war und J.K. tatsächlich nichts mit der Auseinandersetzung zu tun gehabt hatte. Er selbst sei „noch nie so stark alkoholisiert“ gewesen, wie in der Tatnacht.  Schon in der Diskothek vorher und auch nach der Prügelei habe er sich ständig übergeben müssen. „Wahrscheinlich habe ich auch etwas zur Schlägerei beigetragen“, so D.K. „Aber es gab keine Tritte, als der Geschädigte am Boden lag.“ Schon einen Tag später bei der Polizei habe sich D.K. an nichts mehr erinnern können. Seine Blutprobe ergab allerdings nur 1,07 Promille am Morgen nach der Tat. An seine Aussage bei der Polizei, nach der er S.M. gemeinsam mit E.B. zu Hilfe geeilt war, als der Streit eskalierte und E.B. den Rucksack des Geschädigten an sich genommen habe, konnte sich der 20jährige allerdings heute nicht mehr erinnern.

Freispruch für einen der Angeklagten

Der Geschädigte K. (20 J.) schilderte im Zeugenstand heute wie er mit einem Freund, beide ziemlich angetrunken, der Gruppe in der Tatnacht vor McDonald‘s begegnete. Es entwickelte sich ein Streit, in dessen Verlauf sein Kollege eine Ohrfeige bekam. Dann habe jemand von hinten an seinem Rucksack gerissen. Nach einigen Schlägen sei er dann bewusstlos zu Boden gegangen und können deshalb nicht sagen, was weiter passiert sei. Die drei Angeklagten will er aber wiedererkannt haben, eine vierte Person habe er dagegen nicht bemerkt.

Bei einer eindringlichen Befragung durch den J.K.’s Verteidiger verwickelte sich der Zeuge jedoch mehrfach in Widersprüche. Worauf der Verteidiger zu Protokoll gab: Die Polizei habe den Zeugen in der Tatnacht durch die Art und Weise wie dem geschädigten Fahndungsfotos vorgelegt wurden „massiv beeinflusst“. Zudem sei seine Aussage nicht aus eigener Erinnerung erfolgt, sondern nach Rücksprache mit dem anderen Geschädigten, weshalb die „Zeugenaussage unverwertbar“ sei.

Der zweite Geschädigte, der 23 Jahre alte E., bestätigte zwar, dass die Angeklagten seinen Freund zu Boden schlugen, ihm den Rucksack entrissen und dann zu einem Auto liefen und flüchteten. Da es jedoch Dunkel war und eine Laterne blendete, könne er nicht genau zuordnen, wer geschlagen und wer den Rucksack geraubt hat.

Nach diesen Aussagen ging das Gericht nicht mehr davon aus, dass es eine Verabredung der Angeklagten zum Raub gegeben habe. Da J.K. weder ein Raub noch eine Körperverletzung nachzuweisen ist, wurde sein Verfahren abgetrennt und der Angeklagte freigesprochen. Es sei „nicht festzustellen gewesen, dass der Angeklagte an einer Straftat beteiligt war“, begründete die Richterin ihr Urteil. Was der Zeuge K. ausgesagt habe, habe nicht auf eigener Anschauung, sondern auf Rückschlüssen basiert und darum als „sehr unsicher“ einzuschätzen. Der zweite Geschädigte habe dagegen bei der Polizei etwas anders ausgesagt als heute vor Gericht.

Damit lichteten sich die Reihen auf der Anklagebank in der sechsstündigen Verhandlung zumindest etwas.

Schlägerei vor der Zeche in Bochum

Der Angeklagte D.K. soll – so der zweite Anklagevorwurf – im April vorigen Jahres in Begleitung von S.M. auf dem Parkplatz vor der Diskothek Zeche in Bochum den 26 Jahre alten Ö. zusammengeschlagen haben. „Ich habe mich von ihm bedroht gefühlt“, gab D.K. heute als Grund an. Ö. sei ihm auf dem Parkplatz entgegengekommen und habe sich ihm „mit einer Aura von Aggressivität“ in den Weg gestellt. Allerdings will der Angeklagte den Geschädigten nur einen Faustschlag verpasst haben, worauf dieser bewusstlos zu Boden ging.

Sein Opfer Ö. erklärte heute, dass er so gut wie keine Erinnerungen mehr an den Vorfall hat. Zwei unbeteiligte Augenzeugen hätten ihm später erzählt, dass zwei Personen auf ihn eingetreten und geschlagen hätten, als er am Boden lag. Aufgrund seiner Gesichtsverletzungen musst er im Krankenhaus operiert werden und wochenlang einen Gipsverband im Gesicht tragen.

Einer der unbeteiligten Augenzeugen, der 16jährige K., bestätigte heute, dass zwei Personen auf Ö. eingetreten und -geschlagen haben, als dieser auf dem Boden lag.  Ö. sei beim ersten Schlag schon zu Boden gegangen. Ob die beiden Angeklagten die Schläger waren, konnte der Zeuge allerdings nicht sagen.

Drogendealer in Poststraße ausgenommen

Beim dritten Anklagevorwurf soll wiederum S.M. eine Rolle gespielt haben: Im November 2018 sei er gemeinsam mit E.B., der auch bei der Schlägerei in Bochum vor Mc Donald’s dabei gewesen sein soll, in eine Gartenhütte an der Poststraße gestürmt und habe die dort anwesenden drei jungen Männer mit einem Brotmesser bedroht und sie um Herausgabe ihrer Wertgegenstände genötigt.

S.M. gab heute an, dass er mit E.B. und einigen anderen am Bahnhof Holzwickede herumgehangen und etwas getrunken habe, als der Freundin von E.B. per Handychat Ecstasy von einem T.F angeboten worden seien. Darüber sei E.B. so wütend geworden, dass er sich mit ihm zu T.F. aufmachte, den sie in einer Gartenhütte an der Poststraße vermuteten, um ihn zur Rede zu stellen. Beim Betreten der Hütte hätten drei Personen an einem Tisch gesessen: die Brüder B. und jener T.F. „Auf dem Tisch lagen viele Tütchen mit Drogen und Tabletten sowie ein Messer“, so S.M.

„Auf dem Tisch lagen viele Tütchen mit Drogen und
Tabletten sowie ein Messer“

Angeklagter S.M. (19 Jahre)

Er selbst habe auch schon gesehen, wie T.F. an einem Markttage in Holzwickede Drogen verkaufen habe. E.B. sei sehr wütend gewesen, aber er habe das Messer nicht in die Hand genommen. Die drei Personen am Tisch waren von E.B., den sie kannten, „eingeschüchtert“ und hatten wohl auch Angst vor ihm, meint der Angeklagte S.M. Deshalb hätten sie es zugelassen, dass E.B. die Drogen vom Tisch mitgenommen habe. Anschließend habe er die Drogen „in einer Mülltonne entsorgt“.  

Die Brüder B. 21 und 22 Jahre alt, stellten den Tathergang etwas anders im Zeugenstand dar:  S.M. und E.B. seien in die Gartenlaube gestürmt und hätten verlangt, alles Geld und Wertsachen an sie auszuhändigen. Auf dem Tisch hätte nur ein Brotmesser und ein Aschenbecher gelegen. Drogen oder Ecstasy seien nicht im Spiel gewesen, versicherten die Brüder. Davon, dass T.F. Drogen verkauft wollten sie auch nichts wissen.

Mit dem Messer auf dem Tisch seien sie bedroht worden. „Wir mussten unsere Taschen leeren und alle Wertsachen auf den Tisch legen“, so der 22jährige B. Der Begleiter von S.M. habe sie mit dem Messer bedroht und das Geld auch an sich genommen.  Ob die Brüder Angst gehabt hätten, wollte die Richterin wissen: Nein, aber sie seien am selben Tag schon einmal in der Gemeinde ausgeraubt worden von einer maskierten Person.

Verhandlung wird fortgesetzt

Nach sechsstündigem Verhandlungsmarathon wurde die Verhandlung schließlich unterbrochen. Beim Fortsetzungstermin will das Gericht weitere Zeugen hören: Den neutralen Zeugen der Schlägerei vor der Zeche Bochum sowie T.F. aus der Gartenhütte und E.B., der in Bochum und in der Laube dabei gewesen sein soll.

Jugendschöffengericht, Raub


Peter Gräber

Dipl.-Journalist

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