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Sexueller Missbrauch einer Minderjährigen: Nachbarin will plötzlich Augenzeugin sein

Auftakt der Verhandlung gegen den 26-jährigen afghanischen Asylbewerber M. aus Holzwickede, der sich wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen vor dem Schöffengericht in Unna verantworten muss. Es ist bereits die zweite Verhandlungsrunde in dieser Sache: Die erste Verhandlung musste nach drei Terminen abgebrochen werden, da wegen der Urlaubszeit kein fristgerechter weiterer Verhandlungstermin gefunden werden konnte. „Von Amts wegen“ wurde die Verhandlung deshalb heutigen Termin ganz neu angesetzt. Der erste Tag heute brachte erneut eine faustdicke Überraschung.

Zum Hintergrund: Laut Anklage soll M. am 6. September vorigen Jahres im Treppenhaus einer Flüchtlingsunterkunft an der Massener Straße in Holzwickede die minderjährige Tochter einer ebenfalls dort untergebrachten albanischen Flüchtlingsfamilie von hinten umarmt und an ihre Brüste gegriffen haben. Erst nach mehrmaliger Aufforderung des Mädchens soll er von dem Mädchen abgelassen haben.

Vorwurf: Mädchen in Flüchtlingsunterkunft begrabscht

M., der in Afghanistan Polizeibeamter war, bestreitet den Tatvorwurf. Er habe das Mädchen auf keinen Fall unsittlich berührt, sondern nur in die Wange gekniffen. Dies sei eine freundliche Geste gewesen und in seinem Heimatland durchaus üblich. Bis zu dem Zwischenfall hatte M. auch einen guten nachbarschaftlichen Kontakt zur Familie des Mädchens. Mit dem jüngeren Bruder des Mädchen habe er häufig gespielt und mit der Familie sogar gemeinsam Tee getrunken oder gegessen.

Die Vorwürfe des Mädchens kann er sich nicht erklären. Allerdings will er über eine Mitarbeiterin der Gemeinde erfahren haben, dass die Familie schon einmal einen Mitbewohner zu Unrecht beschuldigt habe, ihr Mädchen belästigt zu haben. Angeblich wolle die Familie erreichen, aus der Unterkunft an der Massener Straße verlegt zu werden. Die Verteidigung geht deshalb davon aus, dass die Mutter des Mädchens die Aussage ihrer Tochter stark beeinflusst habe.

In der ersten Verhandlung wollte das Mädchen zunächst nicht ohne seine Mutter aussagen. Schließlich wurde ihr ein eigener Rechtsbeistand beigeordnet und es sagte an einem zweiten Verhandlungstag  unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus. Wie es anschließend hieß, soll das Mädchen den Angeklagten belastet haben.

Aussage der Mutter „problematisch“

Die Aussage ihrer Mutter im Zeugenstand erwies sich dagegen als „problematisch“, wie anschließend sogar die Staatsanwältin einräumte. Belastungstendenzen waren klar erkennbar. In Teilen erwies sich ihre Aussage auch als eindeutig falsch. Zum Tathergang konnte sie ohnehin nichts sagen, da sie nicht dabei gewesen war.  

Schließlich wurde auch eine 47 Jahre alte Mitbewohnerin als Zeugin vernommen, die am Tattag auf die Tochter ihrer Nachbarin, das geschädigte Mädchen, aufgepasst hatte. Sie bestätigte zwar, dass ihre Nachbarin ihr von dem Vorfall erzählt habe, nachdem sie ihre Tochter abgeholt hatte. Daraufhin habe sie ihr geraten, die Polizei zu rufen.  Auf Nachfrage der Richterin erklärte sie aber auch, dass ihr weder an ihren eigenen Kindern noch an der Tochter der Nachbarin etwas Ungewöhnliches aufgefallen sei.

In der neuen Verhandlung heute äußerte sich der Angeklagte zunächst noch einmal zum Tatvorwurf. Anschließend beantragte sein Verteidiger erneut, ein Glaubwürdigkeitsgutachten zur Aussage des geschädigten Mädchens erstellen zu lassen.

Danach wurde die minderjährige Tochter erneut unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Zeugenstand befragt. Wie es anschließend hieß, sagte das Mädchen genau das aus, was sie bereits gegenüber der Polizei und in der ersten Verhandlung erklärt hatte.

Zeugin hat Angst und fühlt sich bedroht

Anders dagegen ihre Mutter: Sie erklärte zum Auftakt im Zeugenstand, dass sie den Fall „am liebsten blutig lösen würde“, wofür sie sich eine strenge Ermahnung der Richterin einhandelte: „Selbstjustiz ist bei uns in Deutschland streng verboten“, so Brigit Vielhaber-Karthaus. „Dass Sie hier so etwas sagen, macht mich fassungslos. Ich rate ihnen dringend, sich zurückzunehmen.“

In ihrer weiteren Aussage stellte die Mutter dann wilde Vermutungen an, statt sich auf Tatsachen zu beschränken, wofür es eine erneute Ermahnung gab. Schließlich überraschte die Mutter erstmals mit der Aussage, dass ihre Nachbarin auch Schreie ihrer Tochter im Hausflur gehört habe, als diese vom Angeklagten belästigt wurde. „Davon haben Sie beim letzten Mal im Zeugenstand aber nichts gesagt“, wunderte sich die Richterin. Die Nachbarin habe ihr erst nach der Verhandlung davon erzählt, so die Mutter.

Die Angst und Bedrohungen machten mir den Mund zu.“

Zeugin (47 J.)

Für noch größere Verwunderung sorgte die Nachbarin (47 J.) anschließend im Zeugenstand. Sie behauptete heute plötzlich völlig überraschend, sogar Augenzeugin der Tat gewesen zu sein. Warum sie diesen Sachverhalt in der vorigen Verhandlung mit keinem Wort erwähnt hatte, begründet die Zeugin so: „Die Angst und Bedrohungen machten mir den Mund zu.“  Sie müsse wie auch die albanische Familie der Geschädigten mit einer Mehrzahl junger Männer aus Afghanistan in der Flüchtlingsunterkunft zusammenleben, die wegen der Anzeige gegen M. alle nicht mehr gut auf sie zu sprechen seien. Auch der Sozialarbeiter der Gemeinde habe ihr Vorwürfe gemacht, weil sie die Belästigung des Mädchens bei der Polizei angezeigt hätten: M. sei doch vernünftig und auch schon gut integriert.

Zeugenaussagen wenig glaubwürdig

„Dadurch habe ich mich unter Druck gefühlt und Angst gehabt, auszusagen. Doch jetzt will ich, dass die Wahrheit herauskommt“, betonte die Nachbarin im Zeugenstand auch auf die Gefahr hin, möglicherweise noch wegen ihrer ersten Falschaussage bestraft zu werden. Auch auf eindringliches Befragen des Gerichts blieb die Zeugin dabei: Sie habe das Mädchen drei- bis viermal schreien hören: „Lass mich!“  Daraufhin sei sie in das Treppenhaus gegangen, um nachzusehen. Dort habe sie M. hinter dem Mädchen stehen sehen, wie er es mit beiden Armen umklammert und ihre Brüste berührt habe. Als M. sie bemerkte, habe er schnell losgelassen.

Nach ihrem Auftritt in ersten Verhandlung, so die Richterin Vielhaber-Karthaus zur Zeugin, sei ihre neue Aussage heute „nur sehr schwer nachvollziehbar“. Das Gericht, aber auch die Anklagevertreterin und Verteidiger waren sich einig: Die Aussage der Nachbarin, aber auch der Mutter scheinen wenig glaubwürdig, zumal das Mädchen selbst nichts davon erwähnt hat, dass die Nachbarin bei dem Vorfall im Treppenhaus dabei gewesen ist.

Nachdem zwei weitere für heute vorgeladene Zeugen nicht erschienen, geht das Gericht davon aus, dass es mit dem bereits für nächste Mittwoch (28. August) angesetzten zweiten Verhandlungstag nicht getan sein wird. Vorsorglich wurden noch wie weitere Verhandlungstage terminiert. Denn um der Wahrheit auf den Grund zu gehen, sollen noch mindestens drei weitere Zeugen vernommen werden, darunter auch der Sozialarbeiter der Gemeinde. Möglicherweise wird auch noch ein Ortstermin in den Unterkünften an der Massener Straße erforderlich sein.

Für den Angeklagten M., der inzwischen eine Ausbildung als Installateur angetreten hat, geht es um viel: Im Falle einer Verurteilung droht ihm die Abschiebung zurück nach Afghanistan.

sexueller Missbrauch


Peter Gräber

Dipl.-Journalist

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