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Renaturierter Emscherlauf im südlichen Bereich des Emscherparks in Holzwickede. (Foto: P. Gräber - Emscherblog)

Seit einem Jahr ist die Emscher vollständig von Abwasser frei: Ein Fluss im Übergang

Renaturierter Emscherlauf  im südlichen Bereich des Emscherparks in Holzwickede. (Foto: P. Gräber - Emscherblog)
Renaturierter Emscherlauf im südlichen Bereich des Emscherparks in Holzwickede. (Foto: P. Gräber – Emscherblog)

„Ziel erreicht – die Emscher ist sauber!“, lautete vor einem Jahr die lang ersehnte Schlagzeile. Nach 30 Jahren und 5,5 Milliarden Euro hatte die Emschergenossenschaft den Fluss vom Abwasser befreit. Über 170 Jahre lang wurde zuvor ungeklärtes Abwasser in die Emscher und ihre Nebenläufe geleitet. Seit dem Jahreswechsel 2021/2022 ist damit Schluss – dank eines neuen unterirdischen, mehr als 430 Kilometer langen Kanalnetzes und vier modernen Großkläranlagen. Zusammen mit der Universität Duisburg-Essen überwacht der Wasserwirtschaftsverband seitdem die Entwicklung der Emscher zurück zu einem natürlichen Fluss. Nach dem ersten Jahr der Abwasserfreiheit zieht die Emschergenossenschaft ein erstes Fazit.

Anfang 2022 wurde die Emscher vom Abwasser aus Millionen Haushalten und der Industrie befreit. Von einem Tag auf den anderen sank die Belastung des Flusses mit Phosphat und Ammonium schlagartig um mehr als 50 Prozent. Zum ersten Jahrestag der Abwasserfreiheit blickt man bei der Emschergenossenschaft mit Stolz zurück auf diesen Meilenstein. Gefeiert hat man ihn auch gebührend, sogar mit dem Bundeskanzler persönlich. Aber ist die Emscher schon ein Fluss wie jeder andere?

„Die Emscher befindet sich aktuell noch in einer Phase des Übergangs von einer stinkenden Kloake hin zu einem vitalen Fluss, in und an dem sich das Leben tummelt. Wir können jedoch mit Sicherheit feststellen: Die Transformation hat begonnen!“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft. Zusammen mit Forscherinnen und Forschern der Universität Duisburg-Essen konnten die Fachleute der Emschergenossenschaft schon bald nach der Abwasserfreiheit die Rückkehr der ersten Tier- und Pflanzenarten im Fluss dokumentieren. Eine sensationelle Nachricht angesichts des mehr als 170-jährigen Daseins der Emscher als Kloake des Ruhrgebietes!

Leben in der Emscher erwacht

Die Wiederbesiedlung des Gewässers durch Bachflohkrebse, Hakenkäfer und Stichlinge sind kleine, aber wichtige Gütezeichen dafür, dass das Leben zurückkehrt in den einst dreckigsten Fluss Europas. Konnten zunächst „robuste“ Arten nachgewiesen werden, folgte später sogar eine, die auf der Roten Liste der gefährdeten Arten für NRW steht: Baetis vernus – die Larve einer Eintagsfliegen-Art. Im Herbst fanden die Forscherinnen und Forscher sogar erstmals Larven von Libellen im Unterlauf der Emscher.

Auf die Kleinlebewesen wie Schnecken, Muscheln, Insekten und Krebstiere werden größere folgen. Vögel, die sich von diesen Wassertierchen ernähren, entdecken die Emscher als Futter- und Nistplatz. Nach der Abwasserfreiheit folgte 2022 zudem noch die Verlegung der Emscher-Mündung bei Dinslaken und Voerde. Damit schaffte die Emschergenossenschaft erstmals wieder die Möglichkeit für Fische aus dem Rhein, die Emscher hinauf zu schwimmen und sich dort anzusiedeln.

Schatten der Vergangenheit

Doch einige unliebsame Hinterlassenschaften der Vergangenheit zeigen sich besonders nach stärkeren Regengüssen. Dann trübt sich die Emscher deutlich ein, weil Ablagerungen und Sedimente aufgewirbelt werden. Diese müssen erst noch nach und nach vom Wasser abgetragen werden – ein Prozess, der von der Emschergenossenschaft auch so gewollt ist. Denn ein natürlicher Fluss formt sich sein Bett selbst, schafft Tiefen und Ruhezonen und damit Lebensraum für die unterschiedlichsten Tiere.

Die Nährstoffbelastung der Emscher sank zwar um mehr als 50 Prozent, doch noch immer ist mehr Phosphat und Ammonium in der Emscher vorhanden, als es sich die Fachleute bei der Emschergenossenschaft wünschen. Phosphat begünstigt das starke Wachstum von Wasserpflanzen, die vor allem nachts dem Wasser und damit auch den Wasserlebewesen wiederum den wichtigen Sauerstoff, Grundlage allen Lebens, entziehen. Die noch vorhandenen Ablagerungen aus der Vergangenheit sind mit ein Grund für die Belastung. Ein anderer ist, dass die Emscher zu einem bedeutenden Teil aus gereinigtem Wasser besteht, das aus den Kläranlagen in den Fluss läuft.

In Dortmund-Deusen besteht die Emscher beispielsweise zu 80 Prozent aus gereinigtem Klärwasser. Die Erweiterung der drei an der Emscher gelegenen Kläranlagen um die sogenannte 4. Reinigungsstufe wird entscheidend helfen, die Phosphat-Konzentration zu senken – und gleichzeitig auch den Sauerstoffgehalt verbessern. Zudem filtert die zusätzliche Reinigungsstufe Spurenstoffe aus Medikamenten aus dem Klärwasser. Die Bauarbeiten für die 4. Reinigungsstufe an der Kläranlage Dortmund-Deusen haben bereits im vergangenen Sommer begonnen. Ende 2023 wird sie in Betrieb genommen. Die beiden anderen Emscher-Kläranlagen werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten folgen.

Stärkung des Flusses gegen Folgen des Klimawandels

Die Verbannung des Abwassers aus der Emscher macht aus ihr noch keinen natürlich verlaufenden Fluss. Deshalb ist der zweite, noch andauernde Auftrag der Emschergenossenschaft die Renaturierung des Flusses. Etappenweise werden in den kommenden Jahren die Emscher selbst und ihre Nebenläufe weiter ökologisch verbessert. Von insgesamt 329 Kilometern Flussläufen wurden bereits rund 170 Kilometer renaturiert. Hier sorgen Bäume und Sträucher am Ufer bereits dafür, dass sich das Wasser weniger aufheizt, oder natürliche Strukturen im Wasser sorgen für Dynamik in der Wasserbewegung. Die einst befestigten, schnurgeraden Ufer bekommen wieder Kurven und abwechslungsreiche Böschungen. All dies wird zur weiteren, schrittweisen Verbesserung der Gewässergüte und damit der Lebensbedingungen für Tiere und Pflanzen im und am Wasser sorgen. Außerdem hilft die Emschergenossenschaft den Gewässern somit, gegen die Folgen des Klimawandels wie Erwärmung und daraus resultierendem Sauerstoffmangel gewappnet zu sein.

Rosige Aussichten

Wie es mit der Emscher weitergehen kann, zeigt der Oberlauf der Emscher. Dort gelangt schon seit 2009 kein Abwasser mehr in den Fluss und die Emschergenossenschaft hat bereits vor einigen Jahren rund 25 Kilometer Flusslauf renaturiert – mit nachweisbaren Erfolgen. Auf langen Abschnitten weist die Emscher eine gute Wasserqualität und eine hohe Artenanzahl auf. Wurden dort kurz nach der Abwasserfreiheit 25 Arten gefunden, waren es 2022 bereits 63. Im Oberlauf der Emscher leben längst wieder Groppen und Stichlinge – und sogar einzelne Forellen wurden bereits gesichtet. Der Eisvogel, ein Indikator für eine gute Gewässerstruktur, fühlt sich dort mittlerweile ebenso wieder zuhause wie die Gebirgsstelze und die sogenannte Blauflügel-Prachtlibelle.

Ein Riesenerfolg, der keine Selbstverständlichkeit ist. Die Emscher hat mehr als schwierige Startbedingungen für ihr neues Leben: ein sehr dichtbesiedeltes, bergbaugeprägtes und industriereiches Einzugsgebiet und eine Vorgeschichte als Abwasserkanal. Was im Oberlauf der Emscher und an der Mündung bereits geschafft wurde, will die Emschergenossenschaft nun für den gesamten Fluss erreichen. „Das ist unser Beitrag für den Klimaschutz, die Natur und die Menschen im Ruhrgebiet. Noch ist die Emscher kein Fluss wie jeder andere, aber wir sind auf einem sehr guten Weg und werden auch 2023 weiter dafür arbeiten“, verspricht Paetzel.

Emscher, Emschergenossenschaft

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