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Schwerer Raub und Körperverletzung: Prozess gegen Gleisbett-Schubser vom Bahnhof Holzwickede eröffnet

Im zweiten Anlauf wurde heute die Hauptverhandlung gegen den 47 Jahren alten H. vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Dortmund eröffnet. Dem Angeklagten aus Dortmund wird ein schwerer Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Last gelegt. Er soll am 15. Mai vorigen Jahres gegen 15.40 Uhr am Gleis 5 im Bahnhof Holzwickede dem 50 Jahre alten P. aus Lüdenscheid Pfefferspray ins Gesicht gesprüht, ihn getreten und geschlagen haben. Schließlich soll er dem Geschädigten seinen Rucksack mit Medikamenten und 30 Euro Bargeld entrissen und P. ins Gleisbett gestoßen haben. P. erlitt dabei eine blutende Schädelverletzung und musste sich ins Christliche Klinikum Unna-West begeben. Er war für sechs Tage arbeitsunfähig.

Als weiterer Tatvorwurf ist der Dortmunder angeklagt, im Januar dieses Jahres an einer Bushaltestelle in Unna einem Schlafenden die Geldbörse mit verschiedenen Ausweispapieren gestohlen zu haben.

Patienten der Diamorphin-Praxis

Sowohl der Angeklagte als auch der Geschädigte P. kannten sich aus der Diamorphin-Praxis an der Wilhelmstraße und gehören dem Drogen-Milieu an. Wohl auch deshalb unterscheiden sich ihre Wahrnehmungen und Aussagen darüber, was am Tattag in Holzwickede passiert ist, teils erheblich. Der Angeklagte H. sitzt seit Januar in Untersuchungshaft. Der erste Termin zu seinem Prozess im April war noch Corona zum Opfer gefallen.

Auf der Anklagebank machte der abgemagerte, ungepflegt wirkende Angeklagte heute einen sehr fahrigen und unkonzentrierten Eindruck, schien dem Prozess nur mit Mühe folgen zu können. Gleich zu Beginn beklagte sich H. über die Bedingungen seiner Untersuchungshaft: Er habe dort „30 Kilogramm abgenommen“, es gebe „keinen Sauerstoff in der Zelle“ und werde „mit einer Kamera überwacht“. Bis auf einige wenige, einsilbige Antworten auf Nachfragen des Gerichts überließ er danach aber alle Erklärungen seinem Verteidiger.

Durch ihn ließ er auch jede Tatbeteiligung zum Hauptvorwurf zurückweisen: Er sei an besagtem Tattag überhaupt nicht in Holzwickede,  sondern bei einem Freund in Herne gewesen. Was auch die Unterlagen der Diamorphin-Praxis zeigen müssten, die alle Patientenbesuche dokumentiere.

Und zum zweiten Tatvorwurf: Dem Schlafenden an der Haltestelle in Unna sei die Geldbörse aus der Tasche gefallen. Er habe sie dann nur aufgehoben und eingesteckt. Ob Geld darin war, wisse er nicht mehr.

Junger Mann aus Frankfurt kümmerte sich um Opfer

Als ersten Zeugen hörte das Gericht den 22 Jahre alten E. aus Frankfurt/Main: Der junge Mann hatte den Geschädigten P. am Tattag mithilfe weiterer Leute von den Gleisen gezogen und sich um ihn gekümmert, bis die Polizei und ein Krankenwagen eintrafen. Der Zeuge schilderte, wie er nach der Ankunft mit dem Zug auf dem Bahnhof Holzwickede auf einen lautstarken Streit zwischen dem Geschädigten P. und einer weiteren Person aufmerksam wurde. Er habe „eine Rangelei mitbekommen“ und gesehen, wie P., kurz nachdem der Zug an den beiden Streithähnen vorbeigefahren war, von seinem Kontrahenten ins Gleis geschubst wurde. „Ich bin dann sofort hin und habe ihn mit anderen Leuten aus dem Gleis gezogen.“  

P. habe eine blutende Kopfwunde am Hinterkopf gehabt. Er habe zunächst nur einen Krankenwagen rufen wollen, sei dann aber von Umstehenden gedrängt worden, auch die Polizei zu informierten. Bis zu deren Eintreffen habe er mit P. gesprochen. Dieser habe ihm erzählt, dass in seinem Rucksack Medikamente und Drogenersatzstoffe gewesen seien. „Er hat mich auch gebeten, in der Praxis anzurufen, weil er Sorge hatte, dass er es wegen der Öffnungszeiten dorthin nicht mehr rechtzeitig schaffen würde“, so der Zeuge.

Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Dirk Kienitz, ob er den Angeklagten identifizieren könne, erklärte der Zeuge: „Das konnte ich auch damals schon nicht. Aber ich habe relativ lange mit dem Geschädigten gesprochen und er hat mir mehrfach den Namen gesagt und dass er ihn kenne.  Von der damaligen Täterbeschreibung her, ungepflegtes langes Haar und Erscheinungsbild, könnte es der Angeklagte schon gewesen sein.“ Dass der Angeklagte mit einem Rucksack oder einer Tasche weggegangen sei, konnte der Zeuge nicht bestätigen.

Streit schwelte schon länger

Der Geschädigte P. sagte heute aus, dass er schon im Zug während der Fahrt „plötzlich einen Schlag in den Nacken bekommen“ habe, von jemandem, der sofort unerkannt auf der Zugtoilette verschwand. Er habe die Toilette beobachtet, weil er wissen wollte, wer das war. Als der Zug dann in Holzwickede hielt, sei die WC-Tür aufgegangen und der Angeklagte schnell ausgestiegen. Auf dem Bahnsteig habe P. dann den Angeklagten zur Rede gestellt. Mit den Worte „Ich kann auch anders“ habe H. plötzlich damit begonnen, ihm ein unbekanntes Spray ins Gesicht zu sprühen. „Das brannte total im Gesicht und in den Augen“, so P.  Außerdem habe H. ihn mit Tritten und Schlägen bearbeitet. „Ich habe versucht, ihn abzuwehren und plötzlich den Boden unter den Füßen verloren. Dann bin ich rückwärts auf die Gleise und mit dem Hinterkopf auf die Schiene gefallen. Ich lag bewegungslos da und habe H. noch lachen und rufen gehört: ,Als nächste ist deine Mutter dran!‘“.

Der Zeuge E. habe ihn dann „aus der Gefahrenzone geholt“.

Seinen Rucksack, so P. auf Nachfrage des Richters, habe er während des Streits am Fahrstuhl abgelegt, weil er sich mit beiden Händen gegen das Spray und die Schläge schützen wollte. „Von den umstehenden Leuten hat mir ja keiner geholfen. Die haben nur zugesehen.“

Streit habe es schon vorher zwischen beiden gegeben, bestätigt der Lüdenscheider. „Wir kannten uns aus der Praxis.“ Wenn H. von dort komme, sei er oft kaum ansprechbar und liege an der Haltestelle vor der Praxis. „Da habe ich ihn einmal gemeinsam mit einem Freund aus Schwerte in den Bus gepackt und mitgenommen. Später haben wir dann einen Krankenwagen rufen müssen für ihn. Doch er hat anschließend behauptet, wir hätten ihm Geld geraubt.“

Rucksack nur verwechselt

Die Folgen seines Sturzes auf die Gleise beschriebt P. dramatischer, als es aus dem ärztlichen Bulletin hervorgeht:  Er habe sehr stark geblutet. „Es ist, als ob meine Festplatte gelöscht wurde. Seit dem Tag hat sich auch meine Persönlichkeit ganz stark verändert.“

„Es ist, als ob meine Festplatte gelöscht wurde. Seit dem Tag hat sich auch meine Persönlichkeit ganz stark verändert.“

– Geschädigter P. (50 J.)

Die „gelöschte Festplatte“ nannte P. dann auch als Begründung für eine nachträgliche Korrektur seiner Zeugenaussage zu seinem Rucksack: Er könne sich nun doch wieder daran erinnern, dass die Rucksäcke wohl verwechselt worden sind: H. habe nicht den eigenen, sondern seinen Rucksack mitgenommen, als er verschwand.

Auf Frage des medizinischen Gutachters, ob ihm zur Tatzeit etwas an dem Angeklagten aufgefallen sei, erklärte P.: „Ich kann das nur vermuten, dass sich H. in der Zugtoilette schon eine Nase Speed oder Amphetamin reingezogen hat. Er ist bekannt dafür, dass er regelmäßig Beikonsum hat.“

Entlastungszeuge kennt Angeklagten gar nicht

Zwei weitere Zeugen wurden heute noch gehört: Der Kripobeamte, der H. auf der Straße Zur Alten Kolonie erkannte und festgenommen hatte. Er sagte aus,  dass bei der Festnahme bei dem Angeklagten auch eine halbleere Pfefferspray-Dose gefunden wurde. Zu dem Vorfall mit Pfefferspray einige Tage zuvor am Bahnhof hätte die „gut gepasst“.

Der 59 Jahre alte mutmaßliche Entlastungszeuge B. aus Herne, bei dem der Angeklagte angeblich zur Tatzeit einige Tage gewesen sein will, sagte aus: „Den Angeklagten kenne ich nicht, habe ihn noch nie gesehen. Ich weiß gar nicht, was ich hier soll.“

Danach vertagte der Vorsitzende Richter Dirk Kienitz die Verhandlung auf den 9. August. Dann sollen noch weitere Zeugen gehört werden.

Körperverletzung, Raub


Peter Gräber

Dipl.-Journalist

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