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Abreibung für Nebenbuhler läuft aus dem Ruder: Milde Strafe für Holzwickeder (20 J.)

Die Anklage gegen den 20jährigen S. wog schwer: Der Holzwickeder musste sich gestern (27.5.) wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung vor dem Schöffengericht Unna verantworten. Die Anklage warf S. vor, sich mit zwei Mittätern am 13. November vorigen Jahres mit seinem langjährigen Bekannten L. (20 J.) im Stadtpark Unna verabredet zu haben, um dessen Handy unter Vorhalt einer Waffe „abzuziehen“.

Als L. ebenfalls mit zwei Freunden erschien, soll S. ihm sofort eine Waffe an den Kopf gehalten und ihn sowie dessen beiden Freunde aufgefordert haben, ihre Handys und Wertsachen herauszugeben. L. weigerte sich, konnte die Waffe wegdrücken und fliehen. Daraufhin soll sich S. dessen Freund B.  vorgenommen haben, ihm die Waffe in den Mund gesteckt und ihn misshandelt haben. Schließlich soll er dem 19-Jährigen alle Wertsachen wie Armbanduhr, Zigaretten mit 20 Euro Bargeld und das Handy abgenommen und mit Waffengewalt gezwungen haben, das Handy zu entsperren.

Auf der Anklagebank machte der 20-Jährige ganz und gar nicht den Eindruck eines brutalen Schlägers, sondern eher den eines zurückhaltenden jungen Mannes aus geordneten Verhältnissen, der nach dem Schulabschluss einen gut bezahlten Job gefunden hat und auch noch eine kaufmännische Ausbildung anstrebt.

Anklage lautet auf schweren Raub

Die meisten der Vorwürfe räumte er mit leiser Stimme ein. Allerdings will er ein völlig anderes Motiv gehabt haben: Nicht um L. „abzuziehen“ und sich zu bereichern will er sich mit ihm getroffen haben, sondern um ihm eine Lektion zu erteilen. L. habe nämlich mit seiner Freundin eine sexuelle Beziehung gehabt. Dies habe L. genutzt, um S. damit über längere Zeit in der Schule zu provozieren und zu mobben. S. litt dermaßen darunter, dass seine Noten immer schlechter wurden, er eine Klasse wiederholen und schließlich sogar den Schulpsychologen aufsuchen musste.

Aufgrund dieser Vorgeschichte wollte sich S. an L. rächen und es ihm heimzahlen, um die Provokationen zu beenden. Dazu holte er sich Verstärkung von einem Bekannten aus Schwerte, den er ausdrücklich bat, einen Baseballschläger mitzubringen, um L. eine Abreibung zu verpassen. Am Tattag erschien der Bekannte schließlich mit einer Waffe, von der das Gericht annimmt, dass es sich um eine funktionsuntüchtige Schreckschusspistole handelte. Die Waffe ist allerdings bis heute verschwunden. Außerdem brachte der Schwerter noch einen weiteren Freund mit zum Treffen mit L.

S. bat L. telefonisch um ein Gespräch im Unnaer Stadtpark. L., der gerade mit seinen beiden Freunden B. (19 J.) und C. (18 J.) in seiner Wohnung in Unna Videospiele zockte, wollte seine Kumpels nicht allein in der Wohnung zurücklassen und nahm sie zum Treffen mit. So erklärt sich die verhängnisvolle Konstellation der sechs Beteiligten.  

S. räumte ein, dass er L. die Waffe an den Kopf hielt und sein Handy forderte. Dieser habe die Pistole jedoch weggedrückt und ihm die Beine weggetreten, so dass er zu Boden stürzte. Als L. daraufhin weglief, verfolgte S. ihn nur kurz in dem stockdunklen Park. Wieder zurück, sei er außer sich vor Wut auf dessen Begleiter B. losgegangen. Er habe ihn geschlagen und ihm die Waffe in den Mund gesteckt und sein Handy verlangt. Aber nicht, um es ihm wegzunehmen, sondern weil er noch einmal L. anrufen und ihn veranlassen wollte, zurück zu kommen. Schließlich beruhigte sich S. wieder und entschuldigte sich sogar bei seinem Opfer und wollte B. „als Wiedergutmachung“ sogar die Waffe in die Hand übergeben, mit der er ihn kurz zuvor noch bedroht hatte. Auch seine Wertsachen gab er B. wieder zurück. Schließlich traf die Polizei ein, die von L. nach seiner Flucht informiert worden war, und beendet den Spuk.

Waffe an den Kopf gehalten

Der 20 Jahre alte L. gab im Zeugenstand kein gutes Bild ab. Er bestätigte, was S. auch schon selbst eingeräumt hatte: Er sei von ihm mit der Waffe bedroht worden, habe aber flüchten und die Polizei holen können. Auf Nachfrage von Richtern Birgit Vielhaber-Karthaus oder der Staatsanwältin verwickelte sich L. aber in Widersprüche, tischte verschiedene Versionen der Abläufe auf und wollte von einer möglichen Vorgeschichte nichts wissen. Die Freundin von S. habe er lediglich einmal per Tinder-App gedatet. Dabei habe sie ihm versichert, nicht mehr mit S. zusammen zu sein. Er habe „keine Affäre“ mit ihr gehabt und S. auch nicht aufgezogen damit. Es sei kein „kein Thema“ zwischen ihnen beiden gewesen. Von daher wisse er auch nicht, warum S. sauer auf ihn sein sollte.

Bemerkenswert nüchtern und sachlich dagegen war die Aussage des eigentlichen Opfers B. im Zeugenstand. Der 19-Jährige schilderte erstaunlich reflektiert, wie S. nach der kurzen Verfolgung von L. zu ihm zurückgekommen und „filmreif ausgerastet“ sei. L. habe ihn bedroht, geschlagen, bespuckt und mit der Waffe im Mund zur Herausgabe seines Handys gezwungen. Ob er vorher auch von den beiden anderen Mittätern bedroht oder geschlagen worden sei, wusste B. nicht mehr so genau. „Aber hauptsächlich war es S.“, der ihn misshandelt habe. Über seine äußeren Verletzungen, eine Platzwunde und multiple Prellungen am Kopf, legte B. auch ein ärztliches Attest vor.

B. wusste zunächst gar nicht, worum es überhaupt ging. Auf Nachfrage der Richterin erklärte er aber: „Mein Eindruck war, dass es S. nicht darum ging, mein Handy zu stehlen, der wollte eher den L. kriegen.“ Schließlich habe er ihm alle seine Sachen wiedergegeben, sich auch bei ihm entschuldigt und ihm sogar die Waffe mit den Worten geben wollen: „Hier, ich will die eigentlich gar nicht.“

Auch in der Verhandlung entschuldigte sich S. noch einmal sehr überzeugend bei B., der diese Entschuldigung auch vorbehaltlos annahm. Außerdem bot er B. auch eine freiwillige Schmerzensgeldzahlung als Wiedergutmachung an.  

Der dritte Zeuge A. konnte keine neuen Erkenntnisse zum Sachverhalt beisteuern, so dass Richterin Vielhaber-Karthaus die Beweisaufnahme schloss.  Die beiden Mittäter von L., die gesondert strafrechtlich verfolgt werde, waren trotz Vorladung als Zeugen nicht erschienen. Auf ihre Vernehmung verzichtete die Richterin einvernehmlich, nicht ohne ein Ordnungsgeld gegen sie zu verhängen.

Gleichzeitig anschließend erläuterte die Richterin, dass eine Verurteilung von S. nur noch wegen versuchter Nötigung und gefährlicher Körperverletzung in Frage kommt, aber mehr wegen schweren Raubes.

Verurteilung für Nötigung und Körperverletzung

Nach längerer Beratung ging auch die Anklagevertreterin in ihrem Plädoyer nicht mehr davon aus, dass L. sich an Wertsachen bereichern wollte. Vielmehr habe er sich in die „fixe Idee reingesteigert“, L. eine Lektion erteilen zu müssen, um sich zu rächen und dessen Provokationen zu beenden. Dazu habe er sich mit zwei Mittätern verabredet, um L. einzuschüchtern. Zwar sei die Tat von S. durchaus geplant gewesen, die Ausführung dann aber völlig aus dem Ruder gelaufen. Wie die Zeugen übereinstimmend bestätigten, sei S. komplett ausgerastet und offenbar nicht mehr ganz bei sich gewesen. Alles an diesem Vorgehen spreche für eine alterstypische Tat, so die Staatsanwältin, weshalb hier noch das Jugendstrafrecht in Betracht kommt, obwohl S. zur Tatzeit schon 20 Jahre alt war.

Als erwiesen sah die Anklagevertreterin den Tatbestand der versuchten bzw. vollendeten Nötigung und gefährlichen Körperverletzung an. Bei der Strafzumessung spreche für den Angeklagten einiges Positive: Er seit strafrechtlich noch nie in Erscheinung getreten und habe nach der Tat dennoch gleich eine Woche in U-Haft gesessen, was S. auch sichtlich beeindruckt habe. In der Verhandlung habe er aufrichtige Reue gezeigt. Zudem sei der Angeklagte über längere Zeit provoziert worden von L., während es zur Tat gegen B. spontan aus der Situation heraus gekommen sei. „Besonders beeindruckend“ sei, wie sich S. „offen und ehrlich entschuldigt“ habe in der Verhandlung bei B., einschließlich des Angebotes eines freiwilligen Schmerzensgeldes.

Allerdings war die Tat des Angeklagten auch schwerwiegend: Jemanden in einem stockdunklen Park mit einer Waffe zu bedrohen sei „immer eine ganz schlimme Situation für den Bedrohten“, so die Staatsanwältin. Für die beiden Geschädigten seien die Folgen auch nicht unerheblich gewesen, einschließlich der psychischen Belastungen. Die Staatsanwältin forderte darum eine Geldstrafe von 1.100 Euro, zahlbar an B. sowie weitere 200 Euro zahlbar an L. und eine Woche Dauerarrest, die allerdings durch die U-Haft schon verbüßt wären.

Schmerzensgeld von 2.200 Euro für drei Geschädigte

Diesem Plädoyer konnte sich auch die Verteidigung anschließen. Sein Mandant sei ein sensibler junger Mann, dem die Haft sehr zugesetzt habe. „Den sehen wir hier nicht mehr wieder“, zeigte sich der Verteidiger sicher.

Richterin Birgit Vielhaber-Karthaus verurteilte den 20-jährigen Holzwickeder schließlich zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 1.100 Euro an B., weitere 800 Euro an L. sowie 300 Euro an A. als dritten Geschädigten. Außerdem muss S. die Kosten des Verfahrens tragen. Der Haftbefehl gegen ihn wurde aufgehoben.

In ihrer Urteilsbegründung schloss sich das Gericht weitgehend dem Plädoyer der Staatsanwältin an. Auch die Richterin geht von einer jugendtypischen Tat aus, weshalb das Jugendstrafrecht anzuwenden war. Bei der Strafzumessung sei die Vorgeschichte des Angeklagten zu berücksichtigen gewesen. Ein dringlich ermahnte die Richterin S.: „Selbstjustiz ist eine ganz erhebliche Straftat.“ Auf weiteren Arrest verzichtete das Gericht jedoch, weil ein weiterer Arrest nach der U-Haft erzieherisch nicht sinnvoll gewesen wäre.  

Körperverletzung, Nötigung


Peter Gräber

Dipl.-Journalist

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