Diamorphinpraxis: Politik fordert Transparenz und Information von der Bürgermeisterin
Zunächst gar nicht auf der Tagesordnung, rückte die geplante Eröffnung einer Diamorphinpraxis im Norden Holzwickedes dennoch in den Mittelpunkt des Haupt- Finanz- und Personalausschusses am Donnerstagabend (10.9.). Denn schon in der Bürgerfragestunde vorab „outete“ ein erboster Gewerbetreibender die bislang nicht bekannte Adresse der Heroin-Ausgabestelle: „Ich habe auf Nachfrage von meinem Vermieter bestätigt bekommen, dass diese Praxis in die Etage über uns an der Wihelmstraße 3 einziehen wird. Sie können sich vorstellen, dass meine Mitarbeiter und ich darüber nicht sonderlich erbaut sind.“
Was der Fragesteller wissen wollte: Warum müsse er erst aus der Zeitung von der Ansiedlung erfahren und wird darum ein solches Geheimnis gemacht, „wenn doch ein Anruf genügte, um herauszubekommen, wo diese Praxis eröffnet wird?“. Bürgermeisterin Ulrike Drossels Antwort fiel knapp aus: „Wir sind da als Gemeinde außen vor. Ich empfehle Ihnen deshalb, sich an Ihren Vermieter zu wenden.“ Schließlich rüffelte sie den hartnäckigen Frager: „Wir wollen hier keine Vorverurteilungen vornehmen.“ Der kündigte darauf an: „Ich leite unser Büro und kann Ihnen sagen, dass meine Mitarbeiter dort nicht mehr arbeiten wollen. Sollte die Praxis dort einziehen, werden wir ausziehen und auch die Gemeinde Holzwickede endgültig verlassen.“
Bürgermeisterin kurz angebunden
Schon diese Fragestunde zeigte, wie aufgeheizt die Atmosphäre inzwischen bei diesem Thema ist. Zu Beginn der Sitzung hatte die CDU bereits beantragt, ihren Fragenkatalog zum Thema Heroin-Ausgabestelle auf die Tagesordnung zu rücken. Auch die Fragen der CDU beantwortete Ulrike Drossel nur sehr defensiv und kurz angebunden:
Beispiele gefällig? Warum wurde die Kommalpolitik nicht informiert? „Die Ansiedlung ist Sache des Vermieters.“ — An welchem Standort soll die Ansiedlung erfolgen? „Wie wir gerade gehört haben, an der Wilhelmstraße 3.“ — Wurde verwaltungsseitig die Möglichkeiten der kommunalpolitische Einflussnahme oder des Einspruchs geprüft? „Ja, auf die Kassenärztliche Vereinigung haben wir keinen Einfluss.“ — Aus welchem Gebietsradius reisen die Patienten an? „Das wissen wir nicht.“ — Wie ist die An- und Abreise der Patienten geregelt? „Sie ist nicht geregelt.“
„Wir hätten wirklich mehr von Ihnen erwartet, aber
Frank Lausmann (CDU)
nicht mit mehr gerechnet“
Die anschließende Diskussion zeigte eines ganz klar: Keine der Fraktionen hat sich gegen die geplante Diamorphinpraxis ausgesprochen. Allerdings gab es – mit Ausnahme des Bürgerblocks – deutliche Kritik daran, wie die Verwaltungsspitze und hier namentlich die Bürgermeisterin mit diesem sensiblen Ansiedlungsvorhaben umgegangen ist.
„Wir hätten wirklich mehr von Ihnen erwartet, aber nicht mit mehr gerechnet“, zeigte sich CDU-Chef Frank Lausmann „auch persönlich tief enttäuscht“ von der Bürgermeisterin. „Das war einmal mehr keine vertrauensvolle Zusammenarbeit.“ Die Bürgermeisterin habe versucht, die Praxiseröffnung nichtöffentlich zu halten. „Dadurch wurde Raum für viele Spekulationen geschaffen. Es hätte eben Fingerspitzengefühl gebraucht, um zu erkennen, dass es sich hier um ein besonderes Ansiedlungsvorhaben handelt.“ Nach Ansicht Lausmanns hätte über diese Praxiseröffnung offen informiert und diskutiert werden müssen. „Wir dürfen uns eine Diskussion darüber nicht ersparen, da wir auch die Verantwortung tragen.“
Misstrauen gegenüber Ratsmitgliedern
Mit Blick auf die Schwerstdrogenabhängigen erklärte der CDU-Chef weiter: „Es steht außer Frage, dass diesen Menschen geholfen werden muss. Ich bezweifle allerdings, dass Holzwickede als kleinste Gemeinde im Kreis auf Dauer dafür geeignet ist.“ Die CDU erwarte jedenfalls „umfassende Information in aller gebotenen Sachlichkeit“ in dieser Angelegenheit.
Den Vorwurf, dass kein Datenschutz-Argument greift, weil sie ja in nichtöffentlicher Sitzung hätte informieren können, konterte Ulrike Drossel: „Die Information in nichtöffentlichen Sitzungen hat in der Vergangenheit immer zu größter Gerüchtebildung geführt.“
Auf Nachfrage von Monika Mölle (SPD) räumte der Beigeordnete Bernd Kasischke ein, dass nach Rücksprache mit dem Kreis Unna der Bebauungsplan die geplante Nutzung zulässt und ein gemeindliches Einvernehmen nicht erforderlich ist. „Das zeigt doch, dass die Verwaltung aktiv war“, wunderte sich Mölle. „Warum ist die Ansiedlung dann in keinem Ausschuss behandelt worden?“
„Wir können es auch mal so sehen, dass es um
Michael Laux (Bürgerblock)
hilfsbedürftige Menschen geht“
Manfred Matysik (SPD) erinnerte Ulrike Drossel an § 55 der Gemeindeordnung, wonach die Bürgermeisterin gegenüber Ratsmitgliedern auskunftspflichtig ist. Deshalb dürfe sie sich „nicht hinter dem Datenschutz verstecken“. Ob sich die Verwaltung wenigstens mal die Mühe gemacht habe in Düsseldorf oder Wuppertal nachzuhören, wo Dr. Plattner bereits zwei derartige Praxen betreibt, und Erfahrungswerte abzufragen, die man dort vielleicht mit den Auswirkungen auf die Sicherheit gemacht hat? Antwort der Verwaltungschefin: „Nein.“
„Wir können es auch mal so sehen, dass es um hilfsbedürftige Menschen geht“, versuchte Michael Laux (Bürgerblock) die Diskussion auf eine andere Ebene zu bringen. „Es soll ja hier kein illegaler Drogenumschlagplatz eingerichtet werden. “ Hier werde versucht, Menschen auszugrenzen. „Das ist beschämend. Niemand möchte so eine Praxis in seinem Vorgarten haben, aber sie ist ein gesellschaftliches Muss.“
„Bizarre Diskussion“
Für seine Partei wollte Friedhelm Klemp (Die Grünen) den Vorwurf nicht gelten lassen: „Natürlich ist die Auseinandersetzung mit der Drogenproblematik eine ganz wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Darum haben wir Grünen diese Diamorphinpraxen auf Landesebene sogar angestoßen. Aber Transparenz und Aufklärung sind ganz wichtig bei diesem Thema, um Ängste und Vorbehalte der Menschen abzubauen. Deshalb ist es unverantwortlich von der Bürgermeisterin, bei so einem Projekt nicht im Vorfeld zu informieren.“
Als positives Beispiel verwies Klemp auf Unna, wo es „durch Aufklärung und Information im Vorfeld gelungen“ sei, „die Menschen mitzunehmen“ und problemlos einen Kontaktladen und Anlaufstellen für Drogenabhängige „sogar mitten in der Innenstadt zu betreiben“. So wie es in Holzwickede gelaufen ist, „habe ich es in 40 Jahren Kommunalpolitik noch nie erlebt“, bedauerte Klemp. „Sie müssen auch sehen, dass nicht die Verwaltung von den Bürgern angesprochen wird, sondern wir.“
„Sie hätten doch einfach Dr. Plattner fragen können, ob er sich uns nicht vorstellen will mit seinem sensiblen Projekt. Kompetenz und Transparenz sehen wirklich anders aus.“
Jochen Hake (FDP)
Verärgert über „die bizarre Diskussion“, die sich auf zwei verschiedenen Ebenen abspiele, zeigte sich FDP-Chef Jochen Hake. Zur Standortsuche positionierte sich Hake ebenso klar wie mit seiner Kritik an der Bürgermeisterin: Es geht hier um einen „Hilfestandort für kranke Menschen“ sowie „ein ordentliches Programm“ und nicht etwa darum , dass Junkies oder Kleinkriminelle in die Gemeinde geholt werden. Er habe immer gedacht, dass er „in einer weltoffenen Gemeinde mit Courage“ und „ohne Vorurteile“ lebe, so Hake weiter. „Jetzt besteht das Risiko, in eine populistische Diskussion abzugleiten. Wir können aber dieses gesellschaftliche Problem nicht ausblenden. Deshalb werbe ich dafür, offen und sachlich damit umzugehen.“
Persönlich betroffen zeigte sich Hake davon, dass „die Bürgermeisterin, hier in den Raum stellt, dass Informationen nicht vertraulich bleiben“. Die Vertraulichkeit bestimmter Informationen sei Ratsmitgliedern durch die Regeln der Gemeindeordnung vorgeschrieben, so der Jurist. „Daran habe ich mich in der Vergangenheit immer gehalten und das gilt wohl auch für die anderen Ratsmitglieder“, so Hake weiter. „Deshalb hätte es zum guten Ton gehört, dass Sie die Ratsmitglieder mit ins Boot zu nehmen. Es ist unerträglich, dass wir so wichtige Informationen der Presse entnehmen müssen.“
Dr. Plattner wird eingeladen
Die Kritik Hakes an der Bürgermeisterin wurde noch konkreter: „Sie hätten doch einfach Dr. Plattner fragen können, ob er sich uns nicht vorstellen will mit seinem sensiblen Projekt. Kompetenz und Transparenz sehen wirklich anders aus“, so der FDP-Chef.
„Diese Sache haben Sie allein verhagelt“, warf Frank Lausmann der Bürgermeisterin vor und forderte: „Wir müssen die Diskussion um diese Diamorphinpraxis jetzt nachholen. Das sind wir den Anwohnern einfach schuldig.“
„Sie müssen auch sehen, dass nicht die Verwaltung von den Bürgern angesprochen wird, sondern wir.“
Friedhelm Klemp (Die Grünen)
Heute, einen Tag nach der Sitzung, äußerte sich Holzwickedes Bürgermeisterin noch einmal in einer Pressemitteilung zum Thema. „Die Gemeinde Holzwickede wurde mit der Ansiedlung der Diamorphinpraxis vor vollendete Tatsachen gestellt, es gab kein Mitwirkungs- und Mitspracherecht“, heißt es darin. „Die Abwicklung ist ausschließlich durch einen privatrechtlichen Mietvertrag, die Zulassung der Kassenärztlichen Vereinigung und die Genehmigung der Bezirksregierung vorgesehen.“
Immerhin: „Nach der intensiven Diskussion“ im Hauptausschuss gestern „wird die Gemeinde den Praxisinhaber Herrn Dr. Plattner einladen, damit dieser offene Fragen beantworten kann und zu bestehenden Bedenken ausführliche Informationen gibt, damit diese ausgeräumt werden können.“
Diamorphinpraxis, Hauptausschuss
Anonym
„Mit Blick auf die Schwerstdrogenabhängigen erklärte der CDU-Chef weiter: „Es steht außer Frage, dass diesen Menschen geholfen werden muss. Ich bezweifle allerdings, dass Holzwickede als kleinste Gemeinde im Kreis auf Dauer dafür geeignet ist.“ – Und damit hat der CDU-Chef endlich Farbe bekannt. Genau wie sein Satz „Wir wollen niemanden stigmatisieren“. Genau das machen sie. Wider besseren Wissens versuchen Sie alles, um diese Praxis zu verhindern. Sie wissen, dass die Gemeinde nichts zu entscheiden hat. Information – ja, Abstimmung hierüber – nein.
Michael T.
Ach Leute, keiner der Schreiber hier hat davon Ahnung, wer in so einer Klinik warum und wie behandelt wird. Da wird austherapierten Menschen geholfen, die willens und dazu bereit sind. Die meisten Kommentare hier sind politisch motiviert um daraus Kapital zu schlagen. Sich aber vorher einmal schlau machen, worum es eigentlich geht, warum? Das Wort Drogen elektrisiert die Leute und es ist natürlich mit dem Schlimmsten zu rechnen. Und von Journalisten wie Herrn Gärber erwarte ich einfach, dass zumindest er sich aufklärt, recherchiert und sachlich darüber berichtet, und zwar bevor man einen Kommentar darüber schreibt.
Und ganz nebenbei: Warum werden Kommentare in einem seriösen Blog ohne Klarnamen zugelassen?
Peter Gräber
Hallo Michael T.,
zu Ihrer Frage, die immer wieder gestellt wird (oft mit einem anklagenden Unterton) darum etwas ausführlicher: Kommentare von Nutzern werden hier in meinem Blog auch ohne vollen oder Klarnamen zugelassen, weil ich als Herausgeber inhaltlich für alle Kommentare presserechtlich verantwortlich bin. Deshalb erscheint hier kein Kommentar, der nicht inhaltlich vorher von mir auf justiziable Inhalte geprüft wurde. Dies ist, so ganz nebenbei, einer der wichtigsten Unterschiede zwischen einem journalistischem Portal wie dem Emscherblog und einer sozialen Plattform wie Facebook. Einen Namen oder eine E-Mailadresse kann ich im Gegensatz zu dem Inhalt des Beitrages auch gar nicht prüfen. Abgesehen davon kommt es m.E. doch allein auf die Inhalte eines Beitrages an, ob dieser unter Klarnamen oder Pseudonym erscheint ist völlig unerheblich. Eine Meinung nicht mit Klarnamen zu äußern, ist in keinster Weise verwerflich. Es kann durchaus gute Gründe dafür geben, warum jemand nicht unter seinem Klarnamen kommentieren will. Sie tun das ja auch nicht. Außerdem: Wenn jemand mir in persönlicher Begegnung seine Meinung sagt, kenne ich doch auch nicht immer seinen Klarnamen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael T.T.
….schreibt ein scheinbar unglaublich gebildeter „Michael T“
Michael T.
Zumindest habe ich mich vorher schlau gemacht wobei es um solche eine Drogenpraxis überhaupt geht, wie diese kontrolliert und überwacht werden. Dank elektronischen Medien kann das übrigens jeder.
Johanna
Herr Hake meint, wir seien eine weltoffene und vorurteilsfreie Gemeide.
Ich hoffe das auch. Ich denke aber auch, dass es nicht für jeden leicht und eine Selbstverständlichkeit ist, weltoffen und vorurteilsfrei zu denken und handeln. Vorurteile zu haben ist menschlich. Ob wir sie als solche erkennen und wie wir damit umgehen, darauf kommt es an. In meiner Jugend waren Drogensucht und die Abgründe der mit der Drogenabhängigkeit verbundenen Auswirkungen ein großes Thema. Das hat mich geprägt. Meine ersten intuitiven Bilder sind keine positiven. Ich weiß, dass es sich um Klischees und Vorurteile handelt, bin selten überhaupt Abhängigen begegnet. Ich muss dennoch aktiv unter Einsatz meines Verstandes an meiner Einstellung arbeiten, wenn ich mit dem Thema in Berührung komme (gilt im Übrigen auch für andere Themen, die für viele Menschen mit unbewussten Ängsten besetzt sind). Ich gehe davon aus, dass ich nicht die einzige bin, der es so geht. Um Ängste abzubauen und bei der Gewinnung einer vorurteilsfreien Einstellung zu helfen, wäre es daher absolut sinnvoll, im Vorfeld und sachlich genau zu informieren. Natürlich bin ich bereit und auch in der Lage, mich meinen Ängsten zu stellen und sie objektiv zu analysieren und ihnen ihre Wirkkraft zu nehmen, um allen Menschen gegenüber möglichst fair zu bleiben (ich gebe mir durchaus Mühe). Aber wie gesagt, das fällt jedem einzelnen in unterschiedlichem Maße schwer. Hierbei zu helfen, indem man Unbekanntes bekannt macht und diffuse Ängste durch konkrete Tatsachen entkräftet wäre ein super Ansatz, wenn man intolerantes, menschenfeindliches Gebaren ausschalten möchte. Das gilt im Übrigen nicht nur bei Suchtkranken.
Elke Mustermann
Die Praxis von Hr. Gräber, Kommentare ohne Klarnamen zuzulassen, finde ich in höchstem Maße begrüßenswert. Sie entspricht dem klass. Journalismus. Nicht immer zählt der Name, sondern der Inhalt.
Da die Beiträge vor Veröffentlichung allesamt geprüft werden, ist ziemlich sicher auch kein Missbrauch zu befürchten. Eine Verfälschung ebenfalls nicht ..
Meine Kommentare wurden jedenfalls bisher stets wortwörtlich (incl. Schreibfehler) online gestellt, und sie entsprachen garantiert nicht immer der polit. Meinung von Hr. Gräber.