Besser spät als nie: Eine Gemeinde erinnert sich an die Opfer der NS-Zeit
In einer bewegenden Gedenkveranstaltung für die NS-Opfer würdigten die Gemeinde Holzwickede und die VHS-Gruppe „Spurensuche NS-Opfer Holzwickede“ heute im Beisein zahlreicher Gäste aus allen Bereichen der Gemeinde im Forum des Clara-Schumann-Gymnasiums die Schicksale und Biographien der im Nationalsozialismus ermordeten Menschen mit Behinderungen und psychischen Krankheiten. Zum Gedenken an Holzwickeder Opfer werden auch am kommenden Dienstag (6. März) fünf Stolpersteine durch den Künstler Gunter Demnig in der Emschergemeinde verlegt.
Dass die Stolpersteine verlegt werden können ist vor allem der VHS-Gruppe Spurensuche um Wilhelm Hochgräber sowie Ulrich Reitinger zu verdanken, die mit ihren Recherchen den Holzwickeder Opfer wieder ein Gesicht und Namen gegeben und die Verlegung der Stolpersteine beantragt haben.
Warum überhaupt eine eigene Gedenkveranstaltung für NS-Opfer, wo doch seit Wiedereinführung des Volkstrauertages 1952 nicht mehr nur den Kriegstoten, sondern auch der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedacht wird? Die Antwort lieferte Wilhelm Hochgräber von der VHS-Gruppe Spurensuche in seiner kurzen Eröffnungsansprache: Während der Kriegstoten auf öffentlichen oder kirchlichen Denkmälern und in der ortsgeschichtlichen Literatur namentlich gedacht wurde und wird, blieben die NS-Opfer jahrzehntelang anonym, so Wilhelm Hochgräber: „Die Namen der fünf umgebrachten Menschen aus Holzwickede, derer heute hier und mit der Stolpersteinverlegung in besonderer Weise gedacht wird, werden weder auf einem Denkmal noch in der ortsgeschichtlichen Literatur erwähnt, noch nicht einmal in den Schriften der Kirchengemeinden, obwohl sie evangelisch oder katholische getauft waren.“
Das „Dritte Reich“ sei wie ein verfluchtes Mörderhaus, von dem die Dorfbewohner wegsehen und das doch in ihrer Mitte steht, schrieb Golo Mann in seiner Deutschen Geschichte. „So war es auch Jahrzehnte lang in Holzwickede“, kritisiert Hochgräber: Als in Unna 2008 und 2014 am 9. November der Bürgermeister einen Kranz zum Gedenken für die jüdischen NS-Opfer in Unna niederlegte, war in Holzwickede verkaufsoffener Sonntag. „Darum ist es gut, dass hier heute die Gemeinde Veranstalter ist und diese Veranstaltung am Baron-Denkmal im Foyer des CSG stattfindet, dem einzigen Mahnmal in der Gemeinde.“
Antrag zur Stolpersteinverlegung hat Großes ausgelöst
Bürgermeisterin Ulrike Drossel dankte in ihren Reden anschließend der VHS-Gruppe Spurensuche und Ulrich Reitinger für ihr Engagement und das Recherchieren der Fakten und Namen der Holzwickeder Opfer. Es sei „wichtig, die Erinnerungen an die menschlichen Schicksale aufrecht zu erhalten“. Neun Holzwickeder, haben die Recherchen ergeben, seien Opfer des Euthanasieprogramms der Nazis geworden. Von fünf dieser Opfer seien die Biographien soweit erarbeitet, dass für sie übermorgen Stolperstein verlegt werden können. „Der Antrag der VHS-Gruppe hat Großes ausgelöst“, stellt Ulrike Drossel fest. Durch ihn seien Erinnerungen an Opfer geweckt worden, denen bisher nicht gedacht wurde. „Durch einen anderen politischen Antrag werden wir uns weiterhin mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzen“, kündigte die Bürgermeisterin an.
Durch einen anderen politischen Antrag werden wir uns weiterhin mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzen.“
Bürgermeisterin Ulrike Drossel
Auch Michael Klimziak bezeichnete es anschließend als „gut und wichtig, dass wir uns auf diese Weise der grausamen Geschichte der NS-Zeit stellen“, so der Kulturausschussvorsitzende. „Die Stolpersteine ermahnen uns auch, aus unserer Geschichte zu lernen, damit sie sich nicht wiederholt.“ Die Gemeinde Holzwickede trage seit einigen Jahren den Titel „Gemeinde ohne Rassismus – Gemeinde mit Courage“. Die Organisatoren sehen die Stolpersteinverlegung auch als Teil ihrer Selbstverpflichtung, womit sich der Kreis zur Aydaco-Gruppe schließe.
Den Opfern einen Namen und ihre Würde zurückgeben
Ulrich Reitinger zeigte in seiner Rede eindringlich auf, wie die Ideologie des so genannten „minderwertigen, unwerten Lebens“ schon vor der NS-Zeit entstand und diese schließlich in den Rassenhygienegesetzen der Nazis mündete. Stand en am Anfang noch Zwangsterilisationen, folgte schon bald die systematische Vernichtung „unwerten Lebens“, wie Erbkranke, psychisch Kranke, Kriminelle oder Menschen nicht deutschen Blutes diffamiert wurden: ein „Massenmord auf dem Dienstweg“.
Auch in Holzwickede gab es Opfer, wie aus den vollständig erhaltenen 4 500 Akten des Erbgesundheitszentrums in Dortmund, das damals zuständig für Holzwickede war, hervorgeht: Danach gab es 58 Verfahren gegen gemeldete Holzwickeder, wobei 43 Zwangssterilisationen angeordnet wurden. 25 davon wurden an Frauen durchgeführt, 18 an Männern. Das jüngste Opfer war erst 14 Jahre alt. Insgesamt wurden zwischen 1934 und 1945 rund 400 000 Menschen im deutschen Reich zwangssterilisiert.
Mit einem Führererlass gingen die Nazis dann zu Kriegsbeginn dazu über, das so genannte „minderwertige Leben“ systematisch zu vernichten. Mindestens 100 000 Menschen wurden im Rahmen der Rassehygienegesetze systematisch getötet. In dieser ersten Phase passierte das in der zentralen Tötungsanstalt im hessischen Hadamar. Auch die Holzwickeder Josef Kaup und Wilhelm Lohöfer endeten in Hadamar, nachdem sie zuvor von Holzwickede aus in die Provinzialheilanstalt Warstein eingewiesen worden waren. Weil das Töten mit Gas in Hadamar nicht effektiv genug war, gingen die NS-Täter in einer zweiten Phase dazu über, die Opfer durch systematische Mangelernährung und Medikamente zu ermorden.
Bewegende Gedanken der CSG-Schüler
„Jedes dieser Opfer hatte ein Recht auf Leben“, schloss Ulrich Reitinger. „Wenn wir demnächst in Holzwickede einen dieser Stolpersteine sehen, sollten wir vielleicht kurz innehalten und uns an unsere Verantwortung erinnern. Dass so etwas nie wieder passiert.“
Wirklich bewegend wurde die Gedenkveranstaltung als zum Abschluss auch einige Schülerinnen und Schüler der Aydaco-Gruppe des CSG ein paar eigenen Gedanken zu den fünf Holzwickeder Opfer vortrugen.
So könnte der ehemalige Aloysiusschüler Ludwig Himpe, würde er heute leben, durchaus ein Mitschüler von ihnen sein, meinte etwa einer der Schüler. Vielleicht würde man heute davon sprechen, dass Ludwig ADHS hätte oder ihn als Inklusionsschüler begleiten lassen. In der NS-Zeit wurde Ludwig dagegen als „lebensunwert“ abgestempelt und in der Anstalt Weilmünster in Hessen ermordet…
Für jedes der fünf Opfer zündeten die Schüler dann eine Kerze an und benannten Bausteine für Frieden und Gerechtigkeit.
Die fünf Opfer aus Holzwickede, an die mit der Verlegung der Stolpersteine am kommenden Dienstag (6. März, ab 12.30 Uhr) erinnert werden soll, sind:
Ludwig Himpe (1898 – 1943), Hauptstr. 8
Karl Klönne (1922 – 1942), Sölder Str. 31
Josef Kaup (1915 – 1941), Landweg 57
Friedrich Ellerkmann (1909 – 1944), Nordstr. 19
Wilhelm Lohöfer (1919 – 1941), Landskroner Str. 23
Gedenkveranstaltung, Stolpersteine