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Kriegsgräber, kath. Friedhof Opherdicke.

Wider das Vergessen: Gedenkstunde am Volkstrauertag an Gräbern der russischer Sklavenarbeiter

Die VHS-Gruppe „Spurensuche NS-Opfer Holzwickede“ hatte zum Volkstrauertag (14.11.) zu einer Gedenkstunde an den Gräbern der russischen Sklavenarbeiter im nordöstlichen Teil des kommunalen Friedhofes eingeladen.

Viele Jahre lang waren die weit über 600 Zwangsarbeiter, die es in den Jahren 1940 bis 1945 in Holzwickede, Hengsen und Opherdicke gab, in der ortgeschichtlichen Literatur namenlos. Das Thema „Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“ wird in den ihm bekannten 28 Schriften zur Ortsgeschichte Holzwickede zwar berührt, wie Wilhelm Hochgräber, Mitglied der VHS-Gruppe feststellt. Doch selbst in den beiden in der ortsgeschichtlichen Literatur vorhandenen Opferlisten der Bombardierung vom 23. März 1945 haben die vermutlich 19 dabei umgekommenen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter keine Namen. Auch die „Russengräber“, die sich auf dem Holzwickeder Friedhof und dem evangelischen Friedhof in Opherdicke befinden, sind zumeist namenlos.

Lange zur Anonymität verdammt

Die Anonymität durchbrach vor wenigen Monaten erst Ulrich Reitinger mit seinen Recherchen im digitalen Archiv des IST (International Tracing Services = internationalen Suchdienstes). Auf den Ausländerlisten der Firmen Künstler, Wiederholt, Karl Schmidt und Caroline sowie den Versichertenlisten der BKK Wiederholt, AOK und der Landkrankenkasse Unna (LKK) fand Reitinger zahlreiche Namen der Zwangsarbeiter. Die von ihm gefundenen Listen basieren offensichtlich auf einer Suchaktion Angehörigen durch die Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg, wie die VHS-Gruppe dazu mitteilt.

Aus den von Ulrich Reitinger im digitalen Archiv des IST entdeckten Ausländerlisten der vier Holzwickeder Betriebe sowie weiteren Informationen aus Holzwickede, Hengsen und Opherdicke ergeben sich die Namen von insgesamt (mindestens) 911 Zwangsarbeitern. Damit liegt die Gesamtzahl der Gesamtzahl der Zwangsarbeiter in Holzwickede in den Jahren 1940 bis 1945 deutlich über 1.000, denn bei der Reichsbahn waren nach Angaben der VHS-Gruppe noch einmal weitere 200 Zwangsarbeiter eingesetzt.

 Belegt ist durch Reitingers auch, dass in Holzwickede nicht ausschließlich Zivilisten (bei den Firmen Karl Schmidt und Wiederholt) zur Zwangsarbeit eingesetzt waren, sondern auch Kriegsgefangene (= gefangene Soldaten).

Den Recherchen der VHS-Gruppe „Spurensuche NS-Opfer Holzwickede“ zufolge wurden russische Sklavenarbeiter bei Künstler und Co., Karl Schmidt, Wiederholt, Bauernhof Spring, Horstkorte, Ziegelei Rausingen, Reichsbahn, Caroline und in Lappenhausen ausgebeutet.

Über 1.000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene

In der ortsgeschichtlichen Literatur Holzwickedes wird nicht unterschieden zwischen Kriegsgefangenen (= gefangene Soldaten) und Zivilisten. So spricht Vincenz Wiederholt in seiner Autobiographie von „gefangenen Russen und Franzosen“. Da die Zwangsarbeitergewinnung von Anwerbemaßnahmen über Stellungsbefehle, bis zur Gefangennahme reichte, war bisher unklar, ob in Holzwickede auch Kriegsgefangene zur Arbeit gezwungen wurden.

Im Unterschied zu zivilen Zwangsarbeitern („Zivilarbeiter“ genannt) unterstanden Kriegsgefangene der Wehrmacht. Unternehmer, die Kriegsgefangene benutzten, mussten dafür an die Wehrmacht zahlen.

Während die Wehrmacht in Holzwickede im Zusammenhang mit dem Truppenübungsplatz in  Opherdicke/Hengsen und Flakstellungen in der ortsgeschichtlichen Literatur dokumentiert ist, findet sie im Zusammenhang mit der Bewachung von Kriegsgefangenen keine Erwähnung.

Einen ersten Hinweis darauf liefert ein im Gemeindearchiv befindliches Dokument: Am 27.2.1945 erschoss sich in Lappenhausen der Oberschütze Wilhelm Steimel mit seiner Dienstpistole. Er gehörte zum „Landesschützenbataillon 3/479“ in Unna, das zur Bewachung von Kriegsgefangenen eingesetzt war.

Die Zwangsarbeiterausnutzung der Nazis erfolgte nach dem Prinzip „Teile und herrsche“, erläutert Wilhelm Hochgräber dazu. Die oberste Stufe der Zwangsarbeiter bildeten gemäß der NS-Rassenlehre die „Westarbeiter“ (Belgier, Holländer, Franzosen), die deutschen Arbeitskräfte weitgehend gleichgestellt waren. Die unterste Stufe waren die „Ostarbeiter“ (Russen, Ukrainer u.a.), die völlig rechtlos waren.

Für die „Ostarbeiter“ galten keine Arbeitsschutzbestimmungen, sie erhielten keinen Lohn ausgezahlt, durften die Lager nicht verlassen und hatten die schlechtesten „Verpflegungssätze“. Sie waren bei Unternehmern so „beliebt“, dass diese für ihre Ausnutzung eine „Ostarbeiter-Abgabe“ bezahlen mussten, um die Arbeitsplätze deutscher Beschäftigter nicht zu gefährden.

„Ihre Behandlung verbesserte sich erst nach der Kriegswende in Stalingrad, da es danach immer schwerer wurde, die an Hunger und Folgekrankheiten Verstorbenen zu ersetzen“, so Wilhelm Hochgräber. „In Hemer im Stammlager IVa der Wehrmacht liegen tausende erbärmlich verreckter Sowjetbürger.“

NS-Denken lebt in Ortsgeschichte fort

Als ein Beispiel für die einseitig gefärbte ortsgeschichtliche Darstellung nennt Wilhelm Hochgräber die Autobiografie von Vincenz Wiederholt. Vincenz Wiederholt schreibt darin, dass nach dem Einrücken von US-Truppen (12. April 1945) die Russen die Küchenvorräte plünderten, während die Franzosen sich daran nicht beteiligten. „Den großen Unterschied in der Behandlung von Russen und Franzosen verschweigt er“, so Hochgräber weiter. „In der ortsgeschichtlichen Literatur Holzwickedes werden von US-Truppen befreite sowjetische (und auch polnische) Sklaven – und Zwangsarbeiter als sich rächend, raubend, plündernd und mordend beschrieben – Begriffe, die für die NS-Diktatur nicht verwandt werden.“  Nirgends werde etwa in der ortsgeschichtlichen Literatur Holzwickedes über die neun umgebrachten Behinderten aus Holzwickede berichtet, über die etwa 50 Zwangssterilisierten, über die Quälereien von Holzwickedern in KZs, über die umgebrachten Hedwig Jacobson und Gustav Gottlieb Schmidt. „Die Fragen, ob sie vielleicht Grund zur Rache hatten und wovon sie nach ihrer Befreiung leben sollten, werden gar nicht erst gestellt“, so Hochgräber. Die Alliierten hätten Wochen und Monate gebraucht, bis sie Auffanglager für die „Displaced Persons“ eingerichtet hatten.

„In der ortsgeschichtlichen Literatur Holzwickedes ,lebt‘ das menschenverachtende NS-Denken vom ,russischen Untermenschen‘ bis heute weiter“, so das Fazit Wilhelm Hochgräbers.

So berichtet der Holzwickeder E. Hinnerwisch in seinem Text „Einzelne meiner Erinnerungen an das Kriegsende, Mai 1945“ davon, dass auf dem Holzwickeder Bahnhof ein Personenzug zusammengestellt wurde „für die Heimreise der Völker des Ostens“, an den drei bis vier Güterwagen zum Transport ihrer Habe angekoppelt waren. Doch als der Zug Holzwickede verließ, wurden der Güterwagen abgekoppelt, so dass den Zwangs- und Sklavenarbeitern noch das Letzte genommen wurde.

Gedenkstunde, russische Kriegsgräber


Peter Gräber

Dipl.-Journalist

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