Verbreitung kinderpornografischen Materials: Immer mehr Jugendliche landen vor Gericht
Wenn über Gerichtsverfahren berichtet wird, in denen es um den Besitz oder die Verbreitung von kinderpornografischem Material geht, sind es fast immer männliche Erwachsene, die auf der Anklagebank sitzen. Doch dieser Eindruck täuscht. Diese Straftatbestände sind keineswegs eine Domäne erwachsener Männer. Mindestens so oft, wenn nicht sogar die Mehrzahl der Angeklagten in Verfahren, in denen es um den Besitz oder die Verbreitung kinderpornografischen Materials geht, sind minderjährige Jugendliche.
Zum Schutz der jungen Angeklagten finden diese Verfahren vor dem Jugendgericht allerdings grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Zudem ist die Motivlage zumeist eine etwas andere als bei erwachsenen Angeklagten. Die Jugendlichen wissen in der Regel gar nicht, wessen sie sich strafbar machen.
Birgit Vielhaber-Karthaus, die als Richterin beim Amtsgericht Unna solche Verfahren gegen minderjährige Jugendliche führt, ist aufgrund ihrer Erfahrung überzeugt, dass „heute fast alle Kinder und Jugendlichen einschlägige Bilder auf ihren Handys haben“, die strafrechtlich als kinderpornografisches Material zu beurteilen sind.
Großes Dunkelfeld
Die offiziellen Statistik spiegelt diesen Sachverhalt nur unzureichend wider. So weist die Statistik des für die drei Kommunen Holzwickede, Fröndenberg und Bönen zuständigen Fachbereich Familie und Jugend des Kreises Unna für das vergangene Jahr folgende Fälle aus, in denen es um den Besitz oder Vertrieb von kindepornografischen Fotos oder Videos durch Minderjährige ging:
- Holzwickede: drei Fälle – im Januar, Juli und August 2021
- Fröndenberg: zwei Fälle – im Mai und Juni 2021
- Bönen: ein Fall – im Juni 2021
Das Dunkelfeld ist allerdings sehr groß. Britta Omansick von der Jugendgerichtshilfe des Kreises Unna, die Gerichtsverfahren gegen minderjährige Angeklagte begleitet, weist darauf hin, dass nicht einschlägigen Straftaten zur Anklage kommen und auch Verfahren, die eingestellt werden, erst gar nicht in der Statistik des Jugendamtes erfasst werden. „Wir wissen dann in solchen Fällen auch nie, was wirklich dahinter steckt. “
Aber auch die Jugendgerichtshelferin meint: „Mit dem Lockdown in der Pandemie ist schon spürbar, dass es mehr solcher Fälle gibt. Für Jugendliche ist es heute normal, solche Nacktfotos auf dem Handy zu haben.“ Britta Omansick ist darum überzeugt: „Wir brauchen mehr Medienerziehung. Wir sind auch gerade dabei, hier für den Kreis Unna ein Medienkompetenz-Seminar als niederschwelliges Angebot für Jugendliche zu organisieren.“
Typischer Fall aus Holzwickede
Mit einem typischen Fall aus Holzwickede war Richterin Birgit Vielhaber-Karthaus gerade erst wieder beim Amtsgericht Unna befasst: Dabei ging es um einen minderjährigen Jungen und zwei etwas ältere Schülerinnen. Die beiden Mädchen mussten sich wegen der Verbreitung und des Besitzes von kinderpornografischen Fotos/Videos vor dem nicht-öffentlichen Jugendgericht verantworten. Die eine der beiden hatte den Jungen beim Chatten per WhatsApp überredet, sich selbst zu befriedigen und ihr ein Foto davon zu schicken. Nach anfänglichem Zögern willigte der Junge schließlich ein und es wurde einschlägiges Bild- und Videomaterial per WhatsApp ausgetauscht.
„Mit dem Lockdown in der Pandemie ist schon spürbar, dass es mehr solcher Fälle gibt. Für Jugendliche ist es heute normal, solche Nacktfotos auf dem Handy zu haben.“
– Britta Omansick (Jugendgerichtshelferin)
Es kam, wie es kommen musste: Ein intimes Foto des Jungen landete zunächst bei der Freundin des Mädchens auf dem Handy und kursierte schließlich auch unter allen Mitschülern. Der Junge wurde so zum Gespött der ganzen Klasse. Auf den Tisch von Richterin Birgit Vielhaber-Karthaus kam die Sache letztlich nur, weil der Junge auch Strafanzeige gegen die Mädchen erstattete.
„Richtig problematisch wird es immer dann, wenn es weitere Beteiligte gibt“, weiß Birgit Vielhaber-Karthaus. Wie Jugendliche in der Pubertät agieren, darüber kann auch die erfahrene Jugendrichterin mitunter nur noch den Kopf schütteln. „Im konkreten Fall hat der Junge, auch nachdem er schon Anzeige erstattet hatte, noch eines der Mädchen angeschrieben und gefragt, ob er ein Nacktfoto von ihr bekommen kann.“
Mehr Medienkompetenz nötig
Birgit Vielhaber-Karthaus kann Jugendliche nur davor warnen, Nacktfotos von Gleichaltrigen oder sich selbst anzufertigen und im Internet oder Sozialen Medien zu posten: „Kinderpornografische Fotos oder Videos auf dem Handy sind immer ein Straftatbestand“, betont die Richterin.
In geschilderten Fall begnügte sich die Jugendrichterin mit einer eindringlichen Belehrung und stellte das Verfahren ein mit der Auflage, dass die Jugendlichen an einem Seminar für Medienkompetenz teilnehmen.
Jugendliche, Kinderpornografie