Skip to main content

Vor fast 40 Jahren: Atomraketen in Opherdicke zogen Ostermärsche an

In der 1980er-Jahren war Holzwickede ein Zentrum der Friedensbewegung: Ostermarschierer auf der Dorfstraße in Opherdicke Ende. (Foto: Archiv)

Auch wenn es noch nie so viele Kriege in der Welt gab wie heute – die große Zeit der Friedenskundgebungen und Ostermärsche in Deutschland mit vielen tausend Demonstranten ist vorbei. Was die jüngeren Generationen kaum noch wissen: Vor fast 40 Jahren stand die Gemeinde Holzwickede im Zentrum der Friedens- und Ostermarschierer. Und das nicht ohne Grund: Denn bis Mitte der 80er-Jahre waren in Opherdicke Nike-Herkules-Raketen stationiert, die atomare Sprengköpfe trugen.

Entstanden war die deutsche Friedensbewegung bereits in den 50er-Jahren als Reaktion auf die Wiederbewaffnung und Gründung der Bundeswehr. Jedes Jahr zu Ostern zogen damals Tausende Friedensbewegte im Ruhrgebiet von Duisburg bis Dortmund, um gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg zu demonstrieren.  Ein Holzwickeder, der damals wohl kaum einen Friedensmarsch versäumte, ist Hans-Ulrich Bangert: Wir marschierten damals tagsüber durch doe Straßen und haben dann nachts bei Freunden an der Strecke übernachtet“, erinnert sich das heutige Ratsmitglied der Bündnisgrünen.

Anfang 1980 berichtete die damalige Westfälische Rundschau dann erstmals darüber, dass in Holzwickede Atomraketen vom Typ Nike Herkules stationiert waren. Dies war der Anlass für die Gründung einer lokalen Friedensbewegung. Treibende Kräfte waren vor allem evangelische Christen wie der Pastor Jenz Rother, der später auch Bürgermeister Holzwickedes war, und seine Kollegin Renate Stein.

1.500 Demonstranten vor dem Rathaus

Ostern 1981 fand dann die erste große lokale Friedenskundgebung statt: Dazu kamen rund 1.500 Demonstranten auf dem Marktplatz vor dem Rathaus zusammen. Von dort zogen die Friedensmarschierer nach Opherdicke zur Raketenstation. Ein Teil davon wird heute als Flüchtlingsunterkunft genutzt. Doch damals war die Zeit des Kalten Krieges, des Nato-Doppelbeschlusses und der Aufrüstung mit den ersten Marschflugkörpern Pershing 1 und 2.

Die Grünen gab es damals noch nicht. Sie sollten erst später noch aus der Friedensbewegung hervorgehen. Auch den Freundeskreis Bundeswehr gab es noch nicht, zu dem später Alt-Bürgermeisterin Margret Mader und der Holzwickeder Kreistagsabgeordnete Herbert Keller (beide SPD) als Hauptprotagonisten gehören sollten.

Dass in Opherdicke atomare Sprengköpfe lagerten, wie die Westfälische Rundschau schrieb, wurde von offizieller Seite nie bestätigt. Doch die Menschen in Holzwickede und Umgebung hatten einfach Angst, dass sie bei einem Atomkrieg das erste Ziel sein könnten. Sie formierten sich zum Protest, der von den Kirchen, der Deutschen Friedensgesellschaft und Teilen der in dieser Frage gespaltenen SPD angeführt wurde.

„Die Gemeinde war natürlich nicht begeistert. Aber es gab sogar auch einige Ratsmitglieder, die mit uns demonstrierten.“

Hans-Ulrich Bangert

Da die Gemeinde Holzwickede der einzige Ort mit Atomraketen an der Marschroute der Friedensbewegten im Ruhrgebiet war, wurde die Emschergemeinde zu einem wichtigen Ziel der Ostermarschierer. Jedes Jahr zogen sie von Iserlohn, Fröndenberg, Soest, Hamm, Unna, Schwerte und Dortmund nach Opherdicke. „Da hielten wir dann direkt am Zaun der Raketenstation“, sagt Hans-Ulrich Bangert. „Die Gemeinde war natürlich nicht begeistert. Aber es gab sogar auch einige Ratsmitglieder, die mit uns demonstrierten.“

Reinhard Berken, Friedhelm Klemp, damals noch SPD-Mitglied, Volker Richard, Cornelia und Volker Pohl oder auch Hugo Bühren und der Juso und heutige Landtagsabgeordnete Hartmut Ganzke gehörten dazu. Der damalige Bundestagsabgeordnete Dr. Uli Böhme sorgte dafür, dass die Ostermarschierer das kreiseigene Haus Opherdicke als Versammlungsort nutzen konnten. So kam es, dass sich diese Veranstaltung zu einer Hauptveranstaltung der Friedensbewegung entwickelte, bevor der Ostermarsch traditionell am Ostermontag um 14 Uhr auf dem Friedensplatz in Dortmund endete.

Holzwickede im Zentrum der Friedensbewegung

Bereits am Karfreitag zogen die Senioren auf einem Kreuzweg zur Raketenstation, wo sich am Zaun bewegende Szenen abspielten. (Foto: Archiv)

Schon am Karfreitag zogen auch die Senioren auf einem Kreuzweg zur Raketenstation. Dort spielten sich bewegende Szenen ab. „Es gab nicht wenige der älteren Leute, die am Zaun standen und geweint haben“, berichtet Hans-Ulrich Bangert. „Sie gehörten ja noch zu der Generation, die den schrecklichen Krieg miterlebt hatten und deshalb sehr aufgewühlt waren.“

1985/86 war es dann wieder die Westfälische Rundschau, die dann das erste Mal darüber berichtete, dass die Nike-Herkules-Raketen in Opherdicke abgezogen werden. Bewacht und gewartet wurden die Atomsprengköpfe von US-Amerikanern, die damals an der Wellstraße wohnten. Es gab zwar auch deutsche Soldaten in der Raketenstation, doch die durften angeblich nur die Trägersysteme warten.

In den zwei Jahren zerfiel die lokale Friedensbewegung langsam. Dabei hatte sich letztlich nur das Waffensystem geändert: Statt der Nike-Herkules-Raketen wurden nun in Holzwickede Patriot-Raketen stationiert. Ob auch die Atomsprengköpfe hatten – darüber herrschte viele Jahre Unsicherheit. Allerdings bekam die Friedensbewegung durch die Patriots Ende der 80er-Jahre wieder neuen Schwung.

Straßenbäume für Raketenlafetten gefällt

Bei den Patriot-Raketen handelte es sich um ein völlig neues Waffensystem: Die Raketen konnten auf fahrbaren Lafetten durch die ganze Gemeinde gefahren werden und wurden das auch. An der Landskroner Straßen wurde damals sogar große Bäume am Straßenrand gefällt, weil sie ein Hindernis für die Raketenlafetten darstellten.

Den letzten großen Ostermarsch gab es im Jahr 1990. Mit Aufgabe der Raketenstation in Opherdicke hat sich dann auch die lokale Friedensbewegung aufgelöst. Auch wenn das große Interesse nicht mehr da ist – ganz gehört die Friedens- und Ostermarsch-Bewegung noch immer nicht der Vergangenheit an. Kleinere Ostermarsch-Kundgebungen  finden über die Ostertage auch heute noch im ganzen Ruhrgebiet statt. So trafen sich Friedensbewegte heute um 14 Uhr in Dortmund am Mahnmal Bittermark. Die übrigen Termine der Ostermarschierer bis einschließlich Ostermontag finden Sie hier

Ostermarsch


Peter Gräber

Dipl.-Journalist

Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert