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(Foto: Succo - Pixabay)

Nachbarschaftskrieg landet vor Gericht: Mediatorin soll Streit in Mehrfamilienhaus schlichten

„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, …“ Das war schon zu Friedrich Schillers Lebzeiten so, der diese Erkenntnis in seinem Stück „Wilhelm Tell“ verarbeitete. Dass eine böse Nachbarschaft auch heute noch für viel Unfrieden sorgt, zeigt das Verfahren vor dem Amtsgericht gegen den Holzwickeder S. beispielhaft:

Der 57 Jahre alte Mieter eines Mehrfamilienhauses in Holzwickede fand sich auf der Anklagebank wieder, weil seine über ihm wohnende 28 Jahre alte Nachbarin ihn wegen Bedrohung und Beleidigung angezeigt hat. Am 21. September vorigen Jahres soll S. von seinem Balkon herunter ihren sieben Jahre alten Sohn, der mit Freunden auf der Wiese vor dem Haus spielte, mit „Hurenkinder“ beschimpft und mit den Worten: „Ich bringe euch um, wenn das so weiter geht“, bedroht haben. Sie selbst soll er danach u.a. als „Schlampe“ bezeichnet haben.

Alles das bestreitet der 57-Jährige vehement. „Ich habe nichts von alledem getan und war nicht einmal auf dem Balkon.“  Die Kinder spielten öfters auf der Wiese vor seinem Balkon. „Das stört mich überhaupt nicht. Ich finde das sogar gut.“

Strafanzeige eine „Retourkutsche“

Als Richter Christian Johann den Angeklagten wissen wollte, ob er sich erklären könne, wieso ihn dann seine Nachbarin angezeigt habe, wurde schnell deutlich, dass schon seit langer Zeit in dem Mehrfamilienhaus ein regelrechter Nachbarschaftskrieg toben muss. Die Anzeige der Nachbarin sei „eine Retourkutsche von ihr, weil ich mich über sie beschwert und sie auch schon einmal angezeigt habe“, so S.

Seit die 26-Jährige mit ihrem Kind in die Wohnung über ihm eingezogen sei, gebe es Stress mit ihr. „Sie lärmt in ihrer Wohnung herum, verrückt Schränke und die Trampelgeräusche machen mich verrückt.“ Seine Nachbarin von oben habe keinen Teppich in ihrer Wohnung liegen und laufe ruhelos durch die Wohnung. „Alle zwei Minuten stampft sie auf den Boden. Ich halte das nicht aus“, so der 57-Jährige. „Ich lebe inzwischen nur noch im Kinderzimmer meiner Wohnung, weil ich da noch am wenigsten höre.“

„Alle zwei Minuten stampft sie auf den Boden. Ich halte das nicht aus. Ich lebe nur noch im Kinderzimmer meiner Wohnung, weil, ich da noch am wenigsten höre.“

– Angeklagter (57 J.)

Nachdem er sich bei ihr beschwerte „hat sich die Sache hochgeschaukelt“, räumt S. ein. Schließlich habe sie einen Mann auf ihn angesetzt, der ihn bedroht und die Reifens seines Autos zerstochen habe. Dieser Mann sei aus ihrer Wohnung gekommen. „Daraufhin habe ich sie angezeigt.“ Wie schon eine zweite Anzeige wurde auch die erste ergebnislos eingestellt. Er habe alle Vorfälle und Lärmbelästigung sorgsam protokolliert, so S. zum Richter. „Seit eineinhalb Jahren geht das schon so. Aber irgendwann ist mal Schluss. Das Kind hat gar nichts damit zu tun. Auch andere Hausbewohner sind sauer über das Verhalten dieser Frau.“ Angeblich habe sie sogar ein Video von der Tat, habe sie ihm gedroht. „Da bin ich gespannt, das soll sie hier mal vorführen.“

Nach Beschwerde über Lärmbelästigung eskaliert Streit

Persönlich habe er seine Nachbarin das letzte Mal kurz vor Weihnachten gesehen, berichtet S. „Aber wenn sie mich ärgern will, zieht sie ihre Stöckelschuhe an und läuft in ihrer Wohnung herum.“  Dass dies eine Belästigung sein kann, kann der Richter nachvollziehen: „Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Lärm wirklich schlimm sein kann.“

Die 28-jährige berufstätige Nachbarin schildert im Zeugenstand ein ganz anderes Bild: Danach ist ihr Nachbar S. ein wahrer Haustyrann, der sie und ihren Sohn seit dem Einzug in das Haus ständig schikaniere.  „Aber irgendwann geht es nicht mehr. Ich will auch meinen Sohn schützen. Ich muss ihn schon durchs Treppenhaus nach unten begleiten, weil er Angst hat, an der Tür von S. vorbeizugehen“, sagt die 28-Jährige.

„Aber irgendwann geht es nicht mehr. Ich will auch meinen Sohn schützen. Ich muss ihn schon durchs Treppenhaus nach unten begleiten, weil er Angst hat, an der Tür von S. vorbeizugehen.“

– Zeugin (28 J.)

„Ich weiß nicht, was er für ein Problem mit mir hat.“ Dabei habe sie immer das Gespräch mit S. gesucht. „Ich war sogar einmal mit meiner Mutter bei ihm. Da hat er mir gesagt, ich soll mir einen Teppich in die Wohnung legen. Ich kann meinen Sohn aber nicht abstellen. Er ist ein Kind mit Bewegungsdrang.“ Manchmal kämen auch Freunde von ihm zu Besuch. Dann spielen die Kinder draußen auf der Wiese, was auch erlaubt ist. „Plötzlich höre ich laute Beschimpfungen von S.“ Sie habe deftige Beleidigungen gehört wie „Missgeburten“ und die Drohung „Ich bringe euch um“, sagt die junge Frau aus. „Ich musste dann abends den Eltern der anderen Kinder erklären, was da passiert ist.“  Das habe ihr gereicht. Darum habe sie und auch im Namen ihres Sohnes die zwei Strafanzeigen erstattet.  

Bei ihrem Vermieter habe sich S. auch schon beschwert über sie, berichtet die 28-Jährige: Er sei „ihr Gönner“ und habe die junge Frau ins Haus gebracht, die nicht in die Mietergemeinschaft hineinpasse, habe er ihm vorgeworfen.

Mit anderen Nachbarn im Haus habe sie ebenfalls versucht, ein Gespräch zu führen: „Seine Nachbarin hat mich aber auch nur beschimpft. Ich sei doch selbst schuld, wenn ich mir keinen Teppich in die Wohnung legen wolle.“

Als der Richter nach dem angeblichen Video fragt, sucht die Zeugin länger auf ihrem Smartphone und findet dann tatsächlich ein Video. Das zeigt aber nicht die angezeigte Tat, sondern nur ein Streitgespräch im Hausflur zwischen beiden Parteien.

„Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Nachbarn ziemlich schwierig sein können.“

– Richter Christian Johann

Am Ende der Beweisaufnahme stand somit Aussage gegen Aussage. „Ich sehe die Probleme, aber hier heute eine Lösung zu finden, ist sehr schwierig“, erklärte Richter Christian Johann. „Vermutlich handelt es sich bei der Strafanzeige sogar um eine Retourkutsche. Wenn das so weiter geht, haben wir bald hier noch weitere Verfahren“, ahnte der Richter. Sein salomonischer Vorschlag für die beiden Streitparteien: „Ich rege eine Moderation an. Dafür haben wir hier im Hause auch eine Mediatorin, mit der sie sich in Verbindung setzen können.“ Beide Seiten stimmten diesem Vorschlag des Richters schließlich nach kurzer Bedenkzeit zu, sodass das Verfahren zunächst einmal ausgesetzt werden konnte. Auch dem Richter schien ein Stein vom Herzen zu fallen: „Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Nachbarn ziemlich schwierig sein können.“

Nachbarschaftsstreit


Peter Gräber

Dipl.-Journalist

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