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Viele Bürger in Sorge: Doch alle Fakten sprechen für Diamorphin-Praxis

Warb für die Diamorphinambulanz in Holzwickede: Dr. Christian Plattner, Betreiber der Praxis an der Wilhelmstraße. (Foto: P. Gräber - Emscherblog)
Warb für die Diamorphinambulanz in Holzwickede: Dr. Christian Plattner, Betreiber der Praxis an der Wilhelmstraße. (Foto: P. Gräber – Emscherblog)

Im Forum des Schulzentrums konnten sich am Dienstagabend etwa 30 bis 40 Gäste auf Einladung der Gemeinde im Forum über die in der Wilhelmstraße geplante Diamorphinambulanz informieren. Und es zeigte sich schnell: Nicht wenige der Holzwickeder Bürger, die gekommen waren, haben Angst davor, dass im Umfeld der Heroin-Praxis ein typisches Drogenmilieu entstehen könnte: mit herumlungernden Abhängigen, verdreckten Spritzen, die im Umfeld entsorgt werden oder Dealern, die Kinder anfixen. Ein hochkarätig besetztes Podium bemühte sich nach Kräften, den Gästen diese Ängste mit Fakten zu nehmen , gegen Klischees und Vorurteile anzugehen und „Licht ins Dunkel“ zu bringen.

Auf dem Podium saßen neben dem Betreiber Dr. Christian Plattner und Dr. Torsten Kelter, dem leitenden Arzt der künftigen Praxis, auch der Sozialpädagoge Gil Bietmann sowie Manuel Izdebski (Aids Hilfe Kreis Unna) und Walter Köpp-Farke (Suchthilfe Kreis Unna). Allen gemeinsam ist eine langjährige Erfahrung in der Behandlung von Drogenkranken und der Drogenberatung. Im Publikum saß außerdem Dr. Martina Harbrink-Schlegel, eine Ärztin aus Iserlohn, die in ihrer Praxis seit 25 Jahren Ersatzstoffe wie Methadon an suchtkranken Patienten verabreicht und mit Dr. Plattner gemeinsam die Praxis in Holzwickede betreiben wird.

Alle Patienten schwer traumatisiert

Bürgermeisterin Ulrike Drossel eröffnete die Informationsveranstaltung im Forum. (Foto: P. Gräber - Emscherblog)
Bürgermeisterin Ulrike Drossel eröffnete die Informationsveranstaltung im Forum. (Foto: P. Gräber – Emscherblog)

Seit 2016 ist Dr. Plattner in Düsseldorf bereits mit einer Diamorphinambulanz tätig. Nach Wuppertal ist Holzwickede nunmehr sein dritter Standort. Insgesamt sind an diesen Standorten 39 Mitarbeiter beschäftigt, darunter auch vier Sozialpädagogen, die etwa 560 Patienten behandeln, von denen 200 in einem Diamorphinprogramm sind.

Nach der Begrüßung durch Bürgermeisterin Ulrike Drossel gab Dr. Plattner, zunächst einige grundsätzliche Informationen zum Thema. Aus seiner Sicht ist die Arbeit mit Suchtkranken in einer Diamorphin-Praxis „eigentlich schön“: Die Patienten kommen über lange Zeit täglich ein- bis zweimal in die Praxis. Mit der Zeit entstehe geradezu ein familiäres Verhältnis, auch bei den Patienten untereinander. Der behandelnde Arzt wird in die Probleme seiner Patienten einbezogen, ist nicht selten Beichtvater, Berater und vieles mehr in einer Person. „Man muss das auch mögen“, meint Dr. Plattner. „Die Arbeit mit Suchtkranken ist nicht mit der Behandlung anderen Krankheiten nicht vergleichbar.“ Viele Ärzte steigen auch wieder aus der Substitution aus.

„Auch bis heute ist Heroin noch immer ein zugelassenes Medikament.“

Dr. Christian Plattner

Allen seinen Patienten gemeinsam sei, dass sie schwer traumatisiert sind und feste Strukturen mit Leitbildern wie der Familie nicht kennen. Diese unglaublichen seelischen Schmerzen, die jemand jahrelang mit sich herumträgt seien durch einen einmaligen Konsum von Heroin plötzlich weg. „Allerdings nur für kurze Zeit“, erklärt Dr. Plattner. „Nach etwa sechs Stunden ist ein neues ,Pflaster‘ für die Seele nötig.“  Heroin sei der einzige Stoff weltweit, der es schaffe, solche seelischen Traumata zu beheben, wenn auch nur für einige Stunden. „Ähnlich einer Schmerztablette, die man einnimmt.“

„Dummerweise gibt es Heroin aber nur illegal, gestreckt und verdreckt und es macht krank“, beschreibt Dr. Plattner die Normalsituation. Der Mediziner selbst sieht Heroin als das, was es war, bevor es vom Gesetzgeber für illegal erklärt wurde: 1897 brachte die Firma Bayer Heroin als Medikament auf den Markt. „Auch bis heute ist Heroin noch immer ein zugelassenes Medikament“, erinnert Dr. Plattner. Weshalb er es unter seinem Handelsnamen Diamorphin auch in seiner Praxis an Patienten verabreichen darf. Heroin sei auch kein Gift und an Suchtkranke verabreicht nebenwirkungsfrei. Gifte seien Alkohol oder Kokain, weshalb es für diese Gifte auch keine legalen Ersatzstoffe (Substitutionen) gibt.

Trotzdem sind die Auflagen des Gesetzgebers in Deutschland sehr hoch: Er müsse seine Diamorphin-Praxis an der Wilhelmstraßen besser sichern als die Deutsche Bank, so Dr. Plattner. Was für den Arzt „nicht ganz nachvollziehbar“ ist. „Unsere Patienten sind stabil eingestellt und wollen es auch bleiben.“  In der Schweiz reiche etwa ein normaler Medikamentenschrank, um das Diamorphin zu verwahren.

Ziel seiner Diamorphin-Praxen sein es, den suchtkranken Patienten ein möglichst normales Leben zu ermöglichen, indem ihnen die täglich notwendige Dosis Heroin, die individuell ganz unterschiedlich ist und mit derZeit auch nicht steigt, auf legalem und medizinisch einwandfreiem Weg von einem Arzt verbreicht wird. Die Heroin-Praxis an der Wilhelmstraße werde ähnlich wie seine beiden anderen Praxen in Düsseldorf und Wuppertal auch schon rein optisch eher an eine modernen Zahnarztpraxis als an einen Drogenkonsumierungsraum erinnern.

Fragen der Bürger beantwortet

Etwa 40 Gäste fanden nach vorheriger Anmeldung im Forum Platz und verfolgten gespannt die Veranstaltung. (Foto: P. Gräber - Emscherblog)
Etwa 40 Gäste fanden nach vorheriger Anmeldung im Forum Platz und verfolgten gespannt die Veranstaltung. (Foto: P. Gräber – Emscherblog)

Die geplante Praxis sei nicht mit einem solchen Raum vergleichbar, wie es ihn etwa in Dortmund gibt: Dorthin würden die Suchtkranken ihr illegal erworbenes Heroin mitbringen und unter Aufsicht eines Rettungssanitäters auch selbst konsumieren.

„Wir wollen, dass sich die Patienten bei uns in einem sauberen Milieu wohlfühlen“, betont Dr. Plattner. Das oft bemühte Bild der Christina F., die am Bahnhof Zoo mit der Nadel im Arm herumhängt, entspreche nicht der Realität, versichert Dr. Plattner. „Wir sind mit unseren Patienten eher eine große Familie.  An unseren beiden anderen Standorten kooperieren wir etwa bei gemeinsamen Veranstaltungen oder Festen auch mit der evangelischen Kirche.“

Eine erhöhte Gefährdung im Bahnhofsbereich durch seine Patienten, so die Frage einer Bürgerin, sieht der Mediziner nicht.  „Unsere Patienten treten nicht auffälliger in Erscheinung als andere Menschen auch.“  Die Sorge einer Mutter von zwei Kindern, dass ihre Kinder gefährdet werden könnten, kann Dr. Plattner zwar nachvollziehen. Begründet sei diese Angst aber nicht. „Unsere Patienten sind keine Monster.“  Die Mitinhaberin der Praxis, Dr. Martina Harbrink-Schlegel, ist auch Mutter. Sie berichtet davon, dass sie ihre eigenen Kinder auch schon mit in ihre Praxis im Märkischen Kreis mitgenommen habe. „Sie sind dort noch nie belästigt worden. Seit 30 Jahren hat es auch noch nie einen Fall geben, bei dem etwas im Umfeld passiert ist oder die Polizei kommen musste.“

„Wir wollen, dass sich die Patienten bei uns in einem sauberen Milieu wohlfühlen.“

Dr. Christian Plattner

Die befürchteten Probleme und Straftaten passierten immer nur in einer bestimmten Drogenszene. Genau diesem Milieu wollten die Patienten ja in einer Diamorphin-Praxis entkommen.

Auf Nachfrage von CDU-Chef Frank Lausmann räumte Dr. Plattner ein, dass die Nachbarstadt Dortmund zunächst erste Standortwahl war. Aufgrund nicht näher bezeichneten „Seilschaften in Dortmund“ sei die Ansiedlung nahe des Gesundheitsamtes im letzten Moment gescheitert. Die zentrumsnahe Ansiedlung einer Diamorphinambulanz biete aber auch Nachteile, weshalb die Wahl auf Holzwickede fiel.  Dass er nicht vor der geplanten Ansiedlung offensiv über die Heroin-Praxis informiert hat, erklärte Dr. Plattner damit, dass er keine unnötigen Ängste schüren wollte. „Es geht ja nicht um Fakten, sondern Ängste. In Düsseldorf haben wir damals gar nicht informiert und es ist auch nicht weiter aufgefallen. Unsere Patienten werden vermutlich auch niemanden von ihnen auffallen. Es ist schon paradox: Die haben mehr Angst vor ihnen als umgekehrt. Da wird auch niemand vor unserer Praxis abhängen. Die sind ganz schnell wieder weg.“  

Aids- und Suchthilfe Kreis Unna begrüßt die Praxis

Auf weitere Fragen stellte Dr. Plattner klar: In der Praxis an der Wilhelmstraße werden wie in jeder anderen Hausarztpraxis natürlich auch alle anderen Beschwerden der Patienten wie Diabetes oder Hepatitis behandelt. Die Krankenkassen zahlen für eine Substitution nur nach Abgabe nicht pauschal. Die Frage nach dem Anteil von Straftätern unter seinen Patienten konnte der Arzt allerdings nicht beantworten: „Wir behandeln Patienten.“  

„Den meisten sieht man gar nicht an, dass sie Substitutionspatienten sind“, versichert der Sozialpädagoge Gil Bietmann.  

Die Abgabe des Diamorphins wird an sieben Tage die Woche täglich von 7 bis 16 Uhr erfolgen.  Die meisten der Patienten – vor allem aus dem weiteren Umfeld – kommen erfahrungsgemäß nur einmal am Tag, einige auch zweimal täglich. Um überhaupt in das Programm aufgenommen werden zu können, müssen Patienten mindestens 23 Jahre alt und fünf Jahre heroinabhängig sein, mindestens zwei erfolglose Therapien, schwere körperliche und seelische Funktionsstörungen aufweisen und die Bereitschaft zu einer psychosozialen Begleitung zeigen.

„Die Angst ist da, aber wer in diese Praxis kommt, muss keine Straftaten mehr begehen. Ich kenne viele frühere ,Kunden‘ der Polizei, die jetzt keine Straftaten mehr begehen. Darum glaube ich nicht, dass es mehr Straftaten geben wird, wenn diese Praxis eröffnet.“

Uwe Bergmeier (Polizeihauptkommissar)

Die beiden Aids- und Suchthilfe-Experten aus dem Kreis Unna begrüßen die Eröffnung der Heroin-Praxis ausdrücklich. „Damit wird hier im Kreis Unna wirklich eine Lücke im Beratungs- und Behandlungsangebot geschlossen“, versicherte Manuel Izdebski. Walter Köpp-Farke appellierte an die Anwesenden, diesem zusätzlichen Hilfsangebot offen gegenüber zu stehen. „Viele Ärzte sind aus der Substitution ausgestiegen. Wir müssen aber sehen, dass wir diese Patienten behandelt bekommen. Deshalb freuen wir uns über dieses zusätzliche Angebot. Doch natürlich werden uns noch bei der Zusammenarbeit abstimmen müssen.“

Michael Laux, der Fraktionschef des Bürgerblocks, erinnerte daran, dass es den Menschen in dieser Gemeinde vor wenigen Jahren ja schon einmal gelungen sei, schwer traumatisierte und psychisch kranke Menschen zu integrieren. Uwe Bergmeier, Polizeihauptkommissar und Leiter der Wache in Unna, versuchte ebenfalls, den besorgten Bürgern ihre Ängste zu nehmen: „Die Angst ist da, aber wer in diese Praxis kommt, muss keine Straftaten mehr begehen. Ich kenne viele frühere ,Kunden‘ der Polizei, die jetzt keine Straftaten mehr begehen. Darum glaube ich nicht, dass es mehr Straftaten geben wird, wenn diese Praxis eröffnet.“

Diamorphin


Peter Gräber

Dipl.-Journalist

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