Nach Sturz auf sanierungsbedürftigem Buschweg: Seniorin verklagt Gemeinde bis vor Oberlandesgericht
Diesen Sonntagsspaziergang am 10. November 2019 wird Hella Rathert wohl für immer in unangenehme Erinnerung behalten: Gegen 13.40 Uhr bog die damals 75-jährige mit ihrem Mann Hans-Peter von einem Waldweg auf den Buschweg ein. Schon nach wenigen Metern trat sie in Höhe des Hauses Nr. 42 in ein großes Schlagloch und stürzte schwer. In schmerzhafter Erinnerung ist dieser Unfall für Hella Rathert doch nicht nur, weil sie noch immer unter den gesundheitlichen Folgen ihres Sturzes vor zweieinhalb Jahren zu leiden hat. Noch immer liegt die Holzwickederin, die Schadenersatz und Schmerzensgeld fordert, mit der Gemeinde in einem Rechtsstreit.
In der Unfallklinik Dortmund, wohin Hella Rathert, nach ihrem Sturz untersucht wurde, stellten die Ärzte einen Knochenbruch am rechten Ellenbogengelenk, Prellungen, Blutergüsse an Hüfte und Kniegelenk sowie eine Verstauchung des linken Fußgelenks fest, die sich im Nachhinein als die schon vermutete knöcherne Verletzung entpuppen sollte.
Hella Rathert stürzt durch Schlagloch
Als ich damals aus dem dunklen Waldweg auf den gehweglosen, asphaltierten Buschweg einbog, habe ich das Schlagloch, wegen der Sonne, die mich blendete, nicht erkennen können“, meint Hella Rathert. „Außerdem war da noch eine Hecke, die es inzwischen nicht mehr gibt. Das Schlagloch lag so im Schatten, dass es aus meiner Richtung kaum zu erkennen war.“ 5,3 cm war es tief, wie ihr Mann später nachgemessen hat.
„Ich hatte auch überhaupt nicht damit gerechnet, dass dort so ein großes Schlagloch auf der Straße befindet. Als ich noch jünger war, hätte ich mich vielleicht noch fangen und den Sturz verhindern können. Aber in meinem Alter bin ich einfach nicht mehr so reaktionsschnell.“ Ihr Mann versuchte anschließend gemeinsam mit einem Radfahrer, der gerade vorbeifuhr, seiner Frau wieder auf die Beine zu helfen. Vergeblich. Zwei ältere Damen, die den Sturz beobachtet hatten, überließen Hella Rathert einen Rollator, auf dem sie sitzen konnte, bis der Krankenwagen kam.
Zwischenzeitlich war auch der Eigentümer des Hauses Buschweg 42, vor dessen Grundstückseinfahrt sich die Unfallstelle befand, mit seinem Pkw nach Hause gekommen. „Er erzählte uns, dass der Buschweg schon seit Jahren mehrere tiefe Schlaglöcher hat und in diesem schlechten Zustand ist“, sagt Hans-Peter Rathert. „Trotz mehrfacher Beschwerden der Anlieger hätte die Gemeinde die Straße aber immer noch nicht saniert.“
Hella Rathert ist deshalb überzeugt, dass ihr Unfall passiert ist, weil die Gemeinde Holzwickede ihre Verkehrssicherungspflicht vernachlässigt hat. Doch als sie Holzwickedes Bürgermeisterin bei einem Treffen darauf ansprach, habe Ulrike Drossel sie nur kühl an die Haftpflichtversicherung der Gemeinde verwiesen.
Geringere Verkehrssicherungspflicht im Außenbereich?
Die Haftpflichtversicherung der Gemeinde, die GVV Kommunalversicherung VVaG, lehnte die Forderungen von Hella Rathert kategorisch ab. Mit einer Begründung, die die Eheleute Rathert nur kopfschüttelnd zurück ließ: Beim Buschweg handele es sich „um einen landwirtschaftlichen Wirtschaftsweg mit einem unbefestigten Bankett. Auf solchen Straßen müssen die Verkehrsteilnehmer mit Unebenheiten von teils erheblichen Ausmaß rechnen.“ Zudem seien die „für derartige Straßen erforderlichen Kontrollen in regelmäßigen Abständen nachweislich durchgeführt worden“, heißt es in dem Antwortschreibend er Gemeindeversicherung. „Dabei wurden keine Beschädigungen festgestellt, die einen rechtswidrigen Zustand begründen würden und somit zu beseitigen gewesen wären.“
Durch die mit der Gemeinde abgestimmte Antwort der Versicherung fühlten sich die Eheleute Rathert regelrecht veralbert: „Der Buschweg ist nachweislich kein landwirtschaftlicher Wirtschaftsweg, sondern eine ganz normale Gemeindestraße“, erklärt Hella Rathert. „Auch ein unbefestigtes Bankett gibt es dort nicht.“ Zudem ist Hans-Peter Rather überzeugt: „Die Gemeinde hat auch den Zustand der Straße nicht regelmäßig kontrolliert.“ Dies gehe auch bereits aus der Aussage des Anliegers hervor. „Bis heute hat die Gemeinde aber auch noch keinen Nachweis über die Kontrollen führen können.“
Um ihre Forderungen geltend zu machen, schaltete Hella Rathert einen Anwalt ein und klagte gegen die Gemeinde. Die wiederum wies über ihren Rechtsbeistand alle Forderungen von Hella Rather zurück und beantragte die Abweisung ihrer Klage.
Buschweg eine „verkehrsunwichtige Straße“
Mit einer durchaus auch für die Allgemeinheit interessanten Begründung: Zwar wurde nun nicht mehr behauptet, dass der Buschweg ein landwirtschaftlicher Weg mit unbefestigtem Bankett sei. Beim Buschweg handele es sich vielmehr „um eine verkehrsunwichtige Straße im Außenbereich“, an der es „nur vereinzelt (…) Anlieger“ gebe, heißt es nun in dem Antrag auf Klageabweisung. „Es würde eine Gemeinde vollkommen überfordern, auf solchen Straßen jederzeit tadellose Verhältnisse zu gewährleisten. Das ist mit zumutbarem Aufwand schlicht unmöglich.“ Auf derartigen Straßen sei „von den Benutzern zu fordern, sich darauf durch eigene Achtsamkeit einzurichten“. Hella Rathert hätte „problemlos seitlich an der Unebenheit vorbei gehen können“, so der Anwalt der Gemeinde.
Da der Zustand des Buschweges für sich sprach, „bedurfte es auch keiner zusätzlichen Warnungen oder Hinweise“. Schließlich lässt die Gemeinde erneut erklären: Der Buschweg werde vierteljährlich kontrolliert, was „angesichts der völlig untergeordneten Verkehrsbedeutung und der begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen“ der Gemeinde völlig ausreichend sei.
Was Hella Rathert besonders ärgert: Die Gemeinde bestritt auch, dass sie „weiterhin unter Unfallfolgen leidet, dass die ärztliche Behandlung andauert, dass die Beweglichkeit des linken Sprunggelenks erheblich eingeschränkt ist, dass das linke Fußgelenk immer noch nicht schmerzfrei und deshalb das Gehvermögen eingeschränkt ist“ und sie „nach wie vor auf die Hilfe ihres Ehemannes angewiesen ist“.
Landgericht weist Klage ab – Kritik an „schlampigem Urteil“
Das Landgericht Dortmund folgte weitgehend der Rechtsauffassung der Gemeinde und wies die Klage von Hella Rather mit Urteil vom 2.11. 2021 als unbegründet ab. „So muss ein Straßenbenutzer bei einer untergeordneten Straße, die durch ein landwirtschaftliches Gebiet führt, eher mit Straßenschäden rechnen“, heißt es in der Urteilbegründung.
Die Verkehrssicherungspflicht sei auf einer untergeordneten Straße nicht mit der auf einer Hauptstraße, wie der angrenzenden Kleistraße, gleichzusetzen. Hella Rathert hätte deshalb mit dem Schlagloch auf dem Buschweg rechnen müssen. Selbst wenn sie durch die Sonne geblendet worden sei, hätte sie „zum Boden schauen und langsam laufen können und müssen“. Nach Ansicht des Gerichts sei auch kein Warnschild notwendig gewesen. „Der zugegebenermaßen nicht besonders gute Zustand der Straße ist für jedermann rechtzeitig erkennbar“, so das Gericht. „Auf diesen Zustand können und müssen sich die Nutzer des Weges einstellen.“
Die Eheleute Rathert empfinden dieses Urteil als „vollkommen unbefriedigend“. Die Richterin beim Landgericht habe keinerlei Beweise erhoben und die Argumente der Gemeinde ohne diese zu hinterfragen übernommen. „Ein derart schlampiges Urteil haben mein Mann und ich noch nie erlebt“, so Hella Rathert, die deshalb auch schon beim Oberlandesgericht Hamm die Änderung des Urteils beantragt hat.
„Ich lasse mich doch nicht veralbern von der Gemeinde. Erst wird die Straße jahrelang vernachlässigt und wenn dann etwas passiert, versucht man sich herauszureden.“
– Hella Rathert
Dass sie ganz allein an ihrem Unfall schuld sei, empfindet die Seniorin als Schlag ins Gesicht. „Ich lasse mich doch nicht veralbern von der Gemeinde“, schimpft Hella Rathert. „Erst wird die Straße jahrelang vernachlässigt und wenn dann etwas passiert, versucht man sich herauszureden. Mit geht es auch gar nicht um das Schmerzensgeld. Das werde ich spenden. Aber so ein Verhalten kann ich nicht akzeptieren. Das ärgert mich einfach maßlos.“
Nach Ansicht der Eheleute Rathert und ihres Anwaltes hätte die Gemeinde als Straßenbaulastträger des Buschweges „alles ihr zumutbare unternehmen“ müssen, „um Schäden von den Straßenbenutzern abzuwenden“, gleich ob es sich um ein Schlagloch oder einen anderen Oberflächendefekt handelt. Dabei sei es unerheblich, ob eine Straße hohe oder geringere Verkehrsbedeutung habe. Auch bei Straßen von geringerer Bedeutung muss Sorge getragen werden, dass Mindeststandards eingehalten werden. Selbst wenn, wie behauptet, keine finanziellen Mittel dafür da gewesen sind, hätte zumindest ein Warnhinweis aufgestellt werden müssen.
Gemeinde beseitigte Schlagloch nach dem Unfall
Im konkreten Fall habe die Gemeinde erklärt, den Buschweg am 10.10.2021, also einen Monat vor dem Unfall, zuletzt kontrolliert zu haben. Das wird von den Hella Rathert und ihrem Mann bestritten. „Wären tatsächlich vierteljährliche Kontrollen durchgeführt worden, hätte den Mitarbeitern das Schlagloch auffallen müssen. Tatsächlich ist nichts unternommen worden, um die Gefahrenquelle zu beseitigen“, so der Anwalt in der Begründung zur Berufung.
Allerdings hat die Gemeinde das Schlagloch doch noch als so bedeutend angesehen, dass es nach dem Unfall im Januar 2021 ausgebessert worden ist. „Offensichtlich waren die finanziellen und personellen Mitteln dann doch vorhanden, um diese Beeinträchtigung der Verkehrssicherungspflicht (…) zu beseitigen.“ Schließlich müsste die Gemeinde auch über eine Dienstanweisung zur Kontrolle der Gemeindestraße, Wege und Plätze verfügen.
Holzwickedes Beigeordneter Bernd Kasischke bestätigte auf Nachfrage, dass der Buschweg im fraglichen Bereich tatsächlich nach dem Unfall ausgebessert worden ist. „Die Sanierung war nötig. Selbstverständlich kontrollieren wir unsere Straßen auch regelmäßig und fahren sie einmal wöchentlich ab. Auch im Buschweg ist das vor dem Unfall gemacht worden. Dabei sind auch Schäden notiert worden, die wir aber nicht sofort repariert haben.“
Die Klage von Frau Rathert sei aus zwei Gründen abgewiesen worden. „Das Gericht hat festgestellt, dass wir unserer Pflicht nachgekommen sind. Es hat aber außerdem auch festgestellt, dass die Geschädigte ihre Sorgfaltspflicht vernachlässig hat.“
Umso mehr zeigte sich Holzwickedes Beigeordneter überrascht, dass es in dieser Angelegenheit noch eine weitere Verhandlung in nächster Instanz vor dem Oberlandesgericht Hamm geben soll.