Vater und Tochter sollen Pfarrer erpresst haben: Freispruch zweiter Klasse
Es war eines dieser Verfahren, an das sich auch die beteiligten Juristen noch lange erinnern dürften: Wegen räuberischer Erpressung und Beleidigung hatten sich heute (11.8.) ein Vater (58 J.) und seine Tochter (27 J.), beide wohnhaft in Holzwickede, vor dem Schöffengericht Unna zu verantworten. In dem Verfahren taten sich tiefe menschliche Abgründe auf. Es endete mit einem Freispruch zweiter Klasse für die Angeklagten.
Die Anklage warf den beiden Angeklagten aus Holzwickede vor, einen katholischen Pfarrer aus Unna in der Zeit von Juni 2010 bis April 2014 finanziell ausgepresst und ihm insgesamt mindestens knapp 80.000 Euro abgenommen zu haben. Bei dem Geld handelte es sich größtenteils um persönliche Ersparnisse des Pfarrers, teilweise aber auch Geld seiner Kirchengemeinde. Laut Anklage wurde der Pfarrer mit angeblich kompromittierenden Fotos und massiver Gewaltandrohung unter Druck gesetzt. Die per SMS eingegangenen Drohungen wurden von dem Pfarrer zwar auf seinem Handy gelöscht, vorher aber schriftlich von ihm dokumentiert: Von übelsten Beschimpfungen bis zu Morddrohungen durch gedungene ausländische Helfer soll darin die Rede gewesen sein.
Beide Angeklagten verweigern Aussage
Die beiden Angeklagten verweigerten heute jede Aussage. Gehört wurde als Zeuge aber der katholische Pfarrer, der mit 66 Jahren inzwischen im Ruhestand ist. Richter Jörg Hüchtmann hatte den Zeugen mehrfach auf sein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen. Zudem hatte der Pfarrer seinen eigenen Rechtsbeistand dabei. Trotzdem bestand der Zeuge auf seiner Aussage – und redete sich fast um Kopf und Kragen. So widersprach sich der Pfarrer nicht nur in wesentlichen Punkten selbst und machte teils objektiv falsche Angaben. Er stellte sich mit seiner Aussage auch in Widerspruch zu seiner eigenen schriftlichen Dokumentation des Sachverhaltes.
Die Angeklagten will der Pfarrer im Jahr 2009 über einen evangelischen Kollegen aus Billmerich kennengelernt haben. Dieser hätte den beiden vorher schon mal geholfen. Daraufhin hätten sie auch ihn um Arbeit und Unterstützung gefragt. Was dann folgte, widerspricht jeder Lebenserfahrung und ist allein „auch mit dem Willen Gutes zu tun, nicht erklärbar“, so Richter Jörg Hüchtmann: Allein bis Anfang 2010 ließ der Unnaer Pfarrer der 27-jährigen jungen Mutter und Hartz-IV-Empfängerin insgesamt „etwa 30.000 Euro“ aus seiner privaten Schatulle zukommen. Freiwillig und ohne jede Gegenleistung, wie er auf Nachfrage versicherte. Seine Begründung: Die alleinstehende junge Mutter und ihr Kind hätten ihm leidgetan. Mal habe es an Windeln gefehlt, mal an einem Geburtstagsgeschenk fürs Kind und so weiter. Insgesamt soll das Paar den Pfarrer sogar um mindestens 80.000 Euro erleichtert haben – teils freiwillige gezahlt, teils unter Drohungen erpresst.
Pfarrer soll um rund 80.000 Euro erleichtert worden sein
Richter Jörg Hüchtmann rechnete dem Zeugen vor, dass der Pfarrer die Hartz-IV-Bezüge der Angeklagten mit seinen Zuwendungen von durchschnittlich 1.500 Euro monatlich mal eben verdreifacht habe. „Das ist ’ne Menge Holz und entspricht durchaus dem durchschnittlichen Verdienst eines Vollbeschäftigten“, staunte der Richter über so viel Mildtätigkeit. „Ich weiß, dass es schwer zu verstehen ist“, rechtfertigte sich der Pfarrer. „Ich war vielleicht auch blauäugig und unprofessionell. Aber die beiden jungen Leute taten mir leid.“ Überzeugen konnte er Richter Jörg Hüchtmann damit nicht: „Es gab doch sicher noch mehr Menschen, denen es schlecht ging. Sie haben aber in zwei Jahren ihr erhebliches Sparvermögen an die beiden Angeklagten ausgegeben“, stellte der Richter fest und äußerte Skepsis: „Da muss doch mehr dahinter stecken.“
„Es gab doch sicher noch mehr Menschen, denen es schlecht ging. Sie haben aber in zwei Jahren ihr erhebliches Sparvermögen an die beiden Angeklagten ausgegeben. Da muss doch mehr dahinter stecken.“
Richter Jörg Hüchtmann
Doch der Pfarrer beharrte darauf: Bis zu diesem Zeitpunkt seien die Zahlungen an die Holzwickederin, die ihn mindestens einmal pro Woche um neues Geld bat, absolut freiwillig und aus reiner Gutmütigkeit erfolgt. Erst als sein eigenes Sparvermögen nahezu aufgebraucht war, ging die Angeklagte dann zunehmend zu Forderungen und Drohungen über.
Nach Griff ans Genital erste nicht freiwillige Zahlung
Erstmals sei das an „dem ominösen Tag“ im Jahr 2009 der Fall gewesen, erklärte der Zeuge auf Nachfrage. Er habe einen Bandscheibenvorfall und starke Rückenschmerzen gehabt. Da habe ihm die Angeklagte angeboten, den Rücken mit Voltaren einzureiben. „Sie mache das bei ihrem Vater auch schon mal, hat sie mir gesagt“, so der Pfarrer. In seinem Badezimmer habe er sich dann den nackten Rücken in Höhe der Lendenwirbel eincremen lassen. „Plötzlich ging ihre Hand auch nach vorne“ und sie habe kurz an sein „Genital gegriffen“. Der Griff habe nur wenige Sekunden gedauert, so der Pfarrer. Er habe „die Hand nicht abwehren“ brauchen. Wie er auf den Übergriff reagiert habe? „Ich weiß es nicht mehr“. Danach habe die Angeklagte jedoch ihr Geld bekommen, um das sie schon vorher gebeten hatte, und sei gegangen.
„Ein paar Tage später“ habe sich die Holzwickederin dann bei ihm gemeldet und damit gedroht, Bildmaterial, das sie von dem Vorfall im Badezimmer aufgenommen habe, zu veröffentlichen, wenn er nicht 5.000 Euro zahle.
In seiner Vorstellung habe er sich ausgemalt, dass die Angeklagte tatsächlich eine Kamera im Badezimmer hinter den Reservepapierrollen aufgestellt haben könnte, um den Vorfall zu filmen. Um sich selbst diese Peinlichkeit zu ersparen, aber auch um Schaden von der Kirche abzuwenden, die damals gerade sehr wegen der zahlreichen Missbrauchsfälle durch katholische Priester in der öffentlichen Kritik stand, habe er schließlich die 5.000 Euro gezahlt – seine erste nicht freiwillige Zahlung an die Angeklagten.
Zunächst habe er nur 500 Euro, dann kurz darauf auch die restlichen 4.500 Euro an den Vater übergeben, der mit seiner Tochter jeweils im Auto auf einem Parkplatz an der Iserlohner Straße und vor der Glückauf-Kaserne gewartet hätte.
Trotz Erpressung auch weitere freiwillige Zahlungen
Kaum zu glauben: Auch nach dieser Erpressung will der Pfarrer die Angeklagten noch weiter auch mit freiwilligen Zahlungen unterstützt haben, zum Beispiel für die Anschaffung eines neuen Hundes. Zwischendurch soll es aber immer wieder auch zu erpressten Zahlungen gekommen sein. So soll das Paar etwa gedroht haben, im Pfingst-Gottesdienst Tonbandaufzeichnungen abzuspielen oder vor seiner Kirche öffentlich zu machen, dass er die Angeklagte sexuell belästigt habe. Aber auch die freiwilligen Zahlungen liefen weiter, „teilweise auch als Darlehen“, wie er dem überraschten Gericht heute erklärte. Sogar noch vor vier Wochen will der Pfarrer freiwillig eine letzte Zahlung an die Angeklagten geleistet haben.
Zwischenzeitlich hatte sich Pfarrer von der Angeklagten aber auch eidesstattlich erklären lassen, dass er von ihrem Vater um 10.000 Euro erpresst worden sei, dass es keinerlei belastende Dokumente gegen ihn, den Pfarrer, gebe und dass er die Angeklagte „nie sexuell belästigt oder vergewaltigt“ habe.
Auch Pfarrer verweigert schließlich Aussage
Weil er sich heute aber immer wieder in Widersprüche verwickelte, objektiv falsche Angaben machte und auch in Widerspruch zu seinen Papieraufzeichnungen setzte, wurde die Verhandlung mehrfach unterbrochen von Richter Hüchtmann, damit sich der Pfarrer mit seinem Anwalt beraten konnte. Schließlich nahm der Zeuge doch noch sein Recht auf Zeugnisverweigerung wahr und erklärte: „Ich will die Wahrheit. Aber ich bin dem hier nicht gewachsen.“
Ich will die Wahrheit. Aber ich bin dem hier nicht gewachsen.“
Begründung des Zeugen, warum er sei Recht auf Aussageverweigerung wahrnimmt.
Da die Angeklagten von vorneherein jede Aussage verweigerten und nun auch der Zeuge keine mehr machen wollte, blieb auch der Anklagevertreterin nichts anderes übrig, als „in diesem etwas schrägen Verfahren“ einen „Freispruch mangels Beweisen“ zu fordern. Die Staatsanwältin zeigte sich aber überzeugt, dass hier „menschlich etwas ganz Übles gelaufen“ sei. Es sei belegt, dass der Unnaer Pfarrer „auf allerübelste Weise ausgenommen worden“ sei. Allerdings sei dieser „nicht in der Lage gewesen und hat sich wohl auch nicht getraut, seine Lage zu schildern“. Belastbare Fakten gegen die Holzwickeder seien deshalb nicht zu finden gewesen.
„Freispruch“ lautete denn auch das Urteil von Richter Jörg Hüchtmann. Es sei zwar naheliegend, dass es zu den vorgeworfenen Taten gekommen sei, aber von beweiskräftigen Fakten, die für eine Verurteilung reichen würden, sei man „weit entfernt“, wie die Verhandlung gezeigt habe. „Wir sprechen Sie heute frei, aber tun Sie so etwas nie wieder“, zitierte Hüchtmann einen längst pensionierten Kollegen als Warnung an die beiden Angeklagten.