Stolpersteine mahnen zur Erinnerung: Bewegende Gedenkfeier für fünf NS-Opfer
Zu einer bewegenden Gedenkfeier im Vorfeld der zweiten Stolpersteinverlegung für fünf weitere NS-Opfer aus Holzwickede luden heute (3. Februar) die Gemeinde Holzwickede und die VHS-Gruppe „Spurensuche NS-Opfer Holzwickede“ auf Haus Opherdicke ein. Etwa 120 bis 150 interessierte Gäste, darunter auch Familienangehörige der Opfer, fanden sich dazu im restlos überfüllten Spiegelsaal des kreiseigenen Hauses ein. Von diesem großen Interesse schienen die Einlader selbst überrascht.
Die nächsten fünf Stolpersteine werden am Donnerstag, 7. Februar, ab 13 Uhr durch den Künstler Gunter Demnig verlegt. Sie sollen an die Holzwickeder NS-Opfer Heinrich Brune (Sachsenstraße 5), Wilhelm Brauckmann (Nordstraße 19), Karl Luicke (Josefstraße 50), Karl Menne (Schillerstraße 13) sowie Caroline Stoffel geb. Pampus (Kellerkopf 37) erinnern. Nach den Recherchen der VHS-Gruppe Spurensuche um Wilhelm Hochgräber und Ulrich Reitinger sind diese fünf Holzwickeder als politisch Verfolgte oder Behinderte durch die Nazis in den Jahren 1933 bis 1945 ermordet worden.
Bürgermeisterin dankt für „Erinnerungsarbeit“
Bürgermeisterin Ulrike Drossel bezeichnete in ihrer Eröffnungsrede das, was unter dem NS-Regime auch in Holzwickede passierte, als „unfassbar aus heutiger Sicht“. Insbesondere Wilhelm Hochgräber und Ulrich Reitinger hätten die Fakten und Namen recherchiert haben, die es nun ermöglichen, weitere fünf Einzelschicksale herauszustellen. Die für sie verlegten Stolpersteine sollen im alltäglichen Leben die Menschen in Holzwickede daran erinnern, aufmerksam zu bleiben, damit so etwas wie unter dem Unrechtsregime der Nazis nie wieder passieren kann, hofft Ulrike Drossel. Wie notwendig diese Erinnerung ist, zeige etwa das Ergebnis der jüngsten Landtagswahl, bei der allein in Holzwickede 693 Bürger (= 7,2 Prozent) die AfD gewählt haben – eine Partei, die offen mit nationalsozialistischem Gedankengut sympathisiert. „Diese hohe Zahl ist erschreckend“, so die Bürgermeisterin.
Sie dankte der VHS-Gruppe und der Aydaco-AG des Clara-Schumann-Gymnasiums für ihre „Arbeit an der Erinnerungskultur“. „Damit haben sie Großes ausgelöst in Holzwickede“. Drossel dankte aber auch dem Künstler Gunter Demnig, der vor zehn Jahren mit seinem Stolperstein-Projekt begann, das sich inzwischen zu einem Riesenprojekt entwickelt hat und der sich nach der Verlegung am 7. Februar auch in das Goldene Buch der Gemeinde eintragen soll.
Politik steht einmütig hinter Stolperstein-Projekt
Im Namen aller Fraktionen im Holzwickeder Rat unterstrich auch der Vorsitzende des Ausschusses für Schule, Sport, Kultur und Städtepartnerschaften, Michael Klimziak, die Bedeutung des Stolperstein-Projektes. „Es ist geeignet, die Erinnerung wachzuhalten. Darum hat es im Ausschuss auch sofort die einstimmige Zustimmung aller Fraktionen gefunden“, so Klimziak. Durch die Stolpersteine erhielten jene Menschen ihre Namen wieder zurück, die unter den Nazis wegen ihrer politischen Einstellung oder Behinderung getötet wurden.
Wobei Klimziak sich ganz persönlich betroffen zeigte: „Ich habe auch an meine eigene Schwester denken müssen, die geistig und körperlich behindert ist und sich heute ihres Lebens freut…“ Dies sei heute möglich, „weil wir seit 70 Jahren in einem geeinten und friedlichen Europa leben“, erinnert Klimziak verbunden mit dem Appell, „unsere Freiheit und Demokratie zu verteidigen“. Mit Blick auf die Europawahl mahnte Klimziak: „Deshalb sollten wir alle bei dieser Wahl für eine Partei stimmen, die sich mit Fug und Recht eine demokratische Partei nennen darf.“
„Den Rechtsstaat bewahren“
„Den Rechtsstaat bewahren“ – dazu forderte Wilhelm Hochgräber in seiner Rede auf. Er erinnerte dran, dass in der Holzwickeder Ortsgeschichte der Nationalsozialismus lange übergangen, verharmlost oder mit zweierlei Maß gemessen wurde. Während es etwa über den Bombenangriff auf Holzwickede im März 1945 und das Kriegsende im April insgesamt 20 schriftliche Zeitzeugenberichte finden, gibt es über die zwölf Jahre Nationalsozialismus nicht einen. NS-Opfer werden überhaupt nicht oder nur am Rande erwähnt. In Holzwickede habe erst das Stolperstein-Projekt und die Bewegung „Schule/Gemeinde ohne Rassismus“ zu einer neuen Gedenkart geführt, „wie sie heute zum zweiten Mal gelebt wird“, so Hochgräber.
Holzwickede sei nunmehr seit 2010 „Gemeinde ohne Rassismus – Gemeinde mit Courage“. „Die Initiative dazu ging von der Aydaco (= Mut) AG des Clara-Schumann-Gymnasiums aus.“ Wobei die Gemeinde, einer Idee von Zuhrah Roshan-Appel, der Sozialpädagogin des CSG, folgend, ihre Aktivitätsverpflichtung alljährlich an eine andere lokale Institution überträgt.
„Rassismus und Gewalt zu verurteilen ist eine richtige Konsequenz nicht nur aus den Schandtaten in Deutschland Anfang der 1990er Jahre, sondern insbesondere auch aus dem Nationalsozialismus“, so Wilhelm Hochgräber. Es dürfte nicht vergessen werden, dass die Massenverbrechen der Nazis erst nach Abschaffung des Rechtsstaates möglich waren. Die NS-Opfer und ihre Familien hatten angesichts Verschleppung und Folter keine Möglichkeit, ein unabhängiges Gericht anzurufen, erinnert Hochgräber.
Das Grundgesetz, das in diesem Jahr 70 Jahre alt wird, sei durchzogen von den Lehren aus der Weimarer Republik und der NS-Zeit. „Eine Lehre ist die Parlamentarische Demokratie statt der Präsidialdemokratie mit ihrer Neigung zur Diktatur“, meint Hochgräber. Die wichtigste Lehre aus der Vergangenheit sei konzentriert im ersten Satz des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Wie schnell aus einem Rechtsstaat ein Unrechtsstaat werden kann, zeige das Beispiel der Türkei. Dort sein ein dilettantischer Putschversuch zum Anlass genommen worden, um in einem zweijährigen Ausnahmezustand politische Gegner durch Inhaftierungen, Entlassungen und Presseverbote auszuschalten und unabhängige Richter und Staatsanwälte mit Berufsverboten zu belegen.
Opfer waren im KZ Bergkamen-Schönhausen
Rechtsstaat und Demokratie sind in der langen Geschichte der Menschheit sehr junge Prinzipien des Zusammenlebens und bedürfen deshalb der ständigen Pflege, fordert Hochgräber. „Wir sollten nicht aus den Augen verlieren, dass dem Leid und der Ermordung der Opfer, denen wir heute gedenken, der Bruch des Rechts voranging.“
Ulrich Reitinger lenkte den Fokus mit seiner Rede schließlich auf die gnadenlose Bürokratie und deutsche Gründlichkeit in der NS-Zeit. Die Denkweise, der schließlich 400.000 Zwangsterilisationen und mindestens 100.000 Morde zugrunde lagen, sei nicht allein Adolf Hitlers Hirn entsprungen, erklärte Reitinger. Das Euthanasie-Programm sei vielmehr schon vor dessen Machtergreifung bis ins Detail vorbereitet gewesen: von der Pflegekostenabrechnung bis zur Verwertung des Zahngoldes. Daran beteiligt waren Ärzte, das Pflegepersonal und Bürokräfte. „Und niemand ist dazu gezwungen worden“, betont Reitinger.
Auch die fünf Opfer, denen mit den Stolpersteinen gedacht werden soll, kamen in Phase II dieses Programms ums Leben. Zwei der Opfer wurden schon früh nach Hadamar deportiert, wo sie vergast wurden. Ein weiteres Opfer überlebte den Krieg, war aber durch Hunger und Misshandlung so geschwächt, dass es kurz nach Kriegsende verstarb.
Alle fünf Opfer wurden zunächst ins KZ Bergkamen-Schönhausen gebracht, wo „einige Holzwickeder die schlimmste Zeit ihres Lebens“ durchlebten und teils auf das Schwerste misshandelt wurden. Auch auf das KZ Börgermoor stieß Reitinger bei seinen Recherchen immer wieder, wo eine derzeit noch unbekannte Anzahl von Holzwickedern Sanktionen erlitten habe.
Aydaco AG gestaltet Gedenkfeier mit
Der zweite Teil der Gedenkfeier wurde von Jugendlichen der Aydaco AG des CSG mitgestaltet. Nach einer kurzen Einleitung durch Zuhrah Roshan-Appel stellte Ulrich Reitinger die fünf NS-Opfer Karl Menne, Heinrich Brune, Wilhelm Brauckmann, Karl Luike und Caroline Stoffel und ihre Schicksale einzeln vor. Nach jedem Einzelprotrait gab es Poetry-Beiträge der Jugendlichen Ana Niederstadt, Finja Lügger, Max Born, Lejly Alikadic und Anna Rahimi und Musikbeiträge.
Musikalisch umrahmt wurde die Gedenkfeier von Hana Endrychova und Jochen Weichert (Intro).