Sozialkaufhäuser in Gefahr: 70 Prozent Umsatzeinbrüche in der Corona-Krise
Die Coronakrise gefährdet auch die Sozialkäufhäuser im Kreis Unna: Das AWO-Inklusionsunternehmen DasDies Service GmbH kämpft um die Sozialkaufhäuser „Die Stöberei“ im Kreis Unna. Auch das Sozialkaufhaus kaufnett din Holzwickede der Diakonie Ruhr-Hellweg Unna leider sich unter dramatischen Umsatzeinbußen.
Im Corona-Lockdown sind alle sieben Sozialkaufhäuser der Diakonie derzeit geschlossen, erklärt Christine Weyrowitz, Leiterin des kaufnett Holzwickede. Einzig die Einrichtung in Hamm ist geöffnet. „Dabei handelt es sich aber um einen Baby-Fachmarkt. Alle anderen Märkte sind geschlossen.“
Holzwickeder kaufnett bietet Verkauf aus Schaufenster an
Auch das Holzwickeder kaufnett, in dem insgesamt drei Anleitungskräfte und zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Arbeitsgelegenheits-Maßnahmen (AGH) beschäftigt sind, ist derzeit geschlossen. In der Corona-Pandemie sind die Umsätze um 70 Prozent eingebrochen, bestätigt die Leiterin. „Unser Markt ist zwar geschlossen, aber unsere Mitarbeitenden sind täglich von 10 bis 14 Uhr vor Ort.“ Sie räumen die Waren ein und arbeiten die Sachspenden auf.
Um wenigstens etwas Umsatz zu machen, bietet das kaufnett Kaufhaus an der Bahnhofstraße 25 neuerdings auch eine Art „click and collect“ an. „Bei uns klicken die Kunden ans Schaufenster und nicht im Internet.“ Was Christine Weyrowitz damit meint: Die langen Schaufenster des Marktes an der Bahnhofstraße werden vom Personal mit einer großen Auswahl von Waren gefüllt, aus der sich Kunden draußen dann das Passende aussuchen können. Dann können sie sich unter Tel. 91 28 23 im kaufnett melden. „Wir bringen die Ware dann nach draußen und die Kunden können bar oder auch bargeldlos mit Karte zahlen“, so Christine Weyrowitz. Artikel wie Kinderwagen oder Wohnmöbel, die zu groß fürs Schaufenster sind, stellen die Mitarbeiter morgens auch nach draußen.
„Bei uns klicken die Kunden ans Schaufenster und nicht im Internet.“
– Christine Weyrowitz (Leiterin kaufnett)
„Wir dürfen ja nicht öffnen und für uns ist das eine gute Möglichkeit, wie man uns helfen kann“, wirbt die Marktleiterin für das Konzept. „Natürlich machen wir nicht so viel Umsatz wie sonst, nur etwa fünf Prozent davon. Aber wir fangen ja auch gerade erst mit dieser neue Idee an und sie muss sich erst herumsprechen. Bisher läuft es schon ganz gut an.“
Die Idee stammt eigentlich von Kunden in Arnsberg, räumt Christine Weyrowitz ein. „Wir haben das jetzt übernommen und wollen es auch mal probieren. Wir denken auch darüber nach, einen Online-Shop aufzubauen“, so die Marktleiterin. „Aber das ist gar nicht so einfach. Da müssen wir genau schauen, denn es soll ja kein Trödelladen werden.“ Die meisten Sachspenden seien zweckgebunden und sollen auch nicht gewinnorientiert an die Kunden weitergegeben werden. „Schließlich müssen wir auch auf unsere Gemeinnützigkeit achten“, erinnert die Marktleiterin. „Bei uns darf zwar jeder kaufen, aber 60 Prozent des Erlöses fließen in die Beschäftigungsmaßnahmen unserer Mitarbeitenden.“
Auch DasDies-Team der AWO setzt auf kreative Konzepte
Ganz ähnliche funktioniert das auch bei der Arbeiterwohlfahrt, die seit seit über 30 Jahren Sozialkaufhäuser im Kreis Unna betreibt. Das Inklusionsunternehmen der AWO Ruhr-Lippe-Ems, die DasDies Service GmbH, hat diese vor mehr als 15 Jahren übernommen und dort 40 dauerhafte Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung und Langzeitarbeitslose sowie viele Ausbildungsplätze geschaffen. „Die Kaufhäuser haben im letzten Jahrzehnt viele schwierige Zeiten erlebt“, sagt Maciej Kozlowski. Doch die aktuelle Situation sei schon eine besondere. „Wir stellen uns nun seit einem Jahr der Herausforderung der Pandemie, obwohl die Umsätze auch bei uns um 70 Prozent im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten eingebrochen sind.“
Im vergangenen Jahr hatte die Aktion Mensch die DasDies Service GmbH über ein Coronahilfe-Programm unterstützt. Während der gesamten Zeit hat das DasDies-Team an verschiedenen kreativen Lösungen gearbeitet, um die Auswirkungen der Pandemie abzufedern. So nähten die Mitarbeitenden zum Beispiel Alltagsmasken oder veranstalteten einen kontaktlosen Trödelmarkt.
„Drei Ziele stehen jetzt im Vordergrund“, erläutert Kozlowski: „Erstens wollen wir weiterhin Menschen versorgen, die bereits vor der jetzigen Situation mit geringem Einkommen klarkommen mussten. Zweitens möchten wir uns mit guten Second-Hand-Angeboten und wiederverwertbarer Ware für Nachhaltigkeit und Umweltschutz einsetzen. Für immer mehr Menschen ist die langlebige Nutzung von Produkten – zum Beispiel guter gebrauchter Kleidung oder ausgefallener Möbelstücke – wichtig, um zum Energiesparen und Materialrecycling beizutragen. Und drittens ist es unser Ziel, die geschaffenen Arbeits- und Ausbildungsplätze für Menschen mit Behinderung und Langzeitarbeitslose zu sichern und zu erhalten.“ In den vergangenen Wochen während des zweiten Lockdowns haben Maciej Kozlowski und seine Mitarbeitenden weitere Maßnahmen getroffen, um die Einbußen zu mildern. Unter anderem präsentieren sie die Waren, die man telefonisch oder per Internet erwerben kann, jetzt auf Monitoren in den Schaufenstern.
Soziale Komponente steht im Vordergrund
Auf der Internetseite der Sozialkaufhäuser führt ein Link zu dem neu eingerichteten Online-Shop. Diesen können Interessierte nach ausgewählten Artikeln – vor allem Möbel – „durchstöbern“. Zudem können Waren telefonisch angefragt werden. Auch eine Terminvereinbarung für die kontaktlose Abholung und die Abgabe von Spenden ist in den Stöbereien möglich.
„Die Arbeit als solches und die dauerhafte Beschäftigung hat eine enorme Bedeutung, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch aus sozialer und psychologischer Sicht“, sagt Diplom-Psychologe Kozlowski und erläutert: „Die Arbeitsstelle ist für viele Beschäftigte der wichtigste und für manche einzige Ort, um soziale Kontakte zu knüpfen und zu unterhalten. Zudem erhalten sie ein Feedback bezüglich ihrer Tätigkeit und erfahren Wertschätzung. So lernen sie die Sinnhaftigkeit einer beruflichen Tätigkeit schätzen.“ Die Struktur des Arbeitsplatzes übertrage sich auf die Strukturierung des Tagesablaufes eines Jeden, so Kozlowski. „Viele Mitarbeitende erfahren und erlenen gerade in der Arbeit, wie man mit den Maßnahmen gegen Corona umgehen kann. Die erwähnten Aspekte haben enormen Einfluss auf geregeltes Lebens und die Gesundheit der Beschäftigten.“
Auch Sarah Hartleb von der Schwerbehindertenvertretung macht sich Sorgen um die Arbeitsplätze. Sie hofft auf den Erfolg der neuen Verkaufsstrategien und ein baldiges Ende des Lockdowns: „Die Mitarbeitenden haben viel Verständnis für die Maßnahmen und unterstützen sie engagiert“, sagt Sarah Hartleb. Gemeinsam mit Maciej Kozlowski bedankt sie sich bei den treuen Kunden und großzügigen Spendern, die bislang die Second-Hand-Kaufhäuser tatkräftig unterstützen.
Link zum Online-Shop: www.die-stoeberei.de. Telefonische Anfragen und Terminvereinbarungen: Tel. 02306 7 51 10 11
AWO, Diakonie, Kaufnett, Sozialkaufhäuser