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Sexueller Missbrauch: Neun Monate Haft zur Bewährung für 25-jährigen Asylbewerber

Wegen des sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen in Tateinheit mit sexueller Nötigung verurteilte das Schöffengericht Unna heute (16. September)einen 25-jährigen afghanischen Asylbewerber aus Holzwickede zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem muss der Verurteilte 500 Euro Schmerzensgeld an sein Opfer, ein 13-jähriges Mädchen, zahlen.

Es war ein Prozess mit etlichen Zeugenanhörungen, Gerüchten, Spekulationen und gegenseitiger Beschuldigungen. „Alles Nebelkerzen, die wir nicht berücksichtigt haben“, wie Richterin Brigit Vielhaber-Karthaus in ihrer Urteilsbegründung erklärte. Einzige Konstante war für das Gericht die Aussage des 13-jährigen Mädchens, das in allen ihren Aussagen –  ob bei der Polizei oder zweimal vor Gericht – stets das gleiche aussagte. Unaufgeregt, eher zurückhaltend, ganz ohne Belastungstendenzen, so die Richterin, habe das Mädchen unter Ausschluss der Öffentlichkeit den Vorfall geschildert, der sich am 6. September vorigen Jahres in der Flüchtlingsunterkunft Massener Straße 71 ereignete. Diese bewohnt das Mädchen mit ihrer Familie und zahlreichen weiteren Asylbewerbern, die meisten davon junge Männer aus Afghanistan, in engsten Verhältnissen.

Wilde Gerüchte, Spekulationen und Beschuldigungen

 Als sie am Tattag mit ihrem jüngeren Bruder durch das Treppenhaus nach unten gehen wollte, traf sie dort den Angeklagten, der bis dahin ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu ihrer Familie hatte und zu allen Kindern in den Unterkünften immer freundlich ist.  Der 25-jährige griff von hinten unter den beiden Armen des Mädchens hindurch an ihre Brüste und drückte diese fest, während er sich eng an sie schmiegte. Erst nach der dritten Aufforderung ließ der 25-Jährigen von dem Mädchen ab. Als die Mutter später nach Hause kam, berichtete das Mädchen ihr von dem Vorfall und die Mutter rief die Polizei.

Der Angeklagte erzählte eine völlig andere Geschichte: Er habe das Mädchen nie sexuell belästigt, sondern lediglich freundschaftlich in die Wange gekniffen. Das sei in seiner Heimat durchaus so üblich und ohne jeden sexuellen Hintergrund geschehen. Man habe sich lachend getrennt und er sei dann zum Sport gegangen. Später habe er sich freiwillig bei der Polizei gemeldet, als er von der Anzeige der Nachbarsfamilie gegen ihn erfuhr.

In dem Prozess, der wegen einer Fristüberschreitung vor noch einmal neu aufgerollt werden musste, gab sich das Gericht alle Mühe, die Wahrheit herauszufinden. Durch die „Nebelkerzen“ war das nicht einfach: So behauptete etwa der Angeklagte, dass die Mutter des Mädchens ihn falsch beschuldige, um aus den Unterkünften an der Massener Straße verlegt zu werden. Das habe die Mutter auch schon mit einem anderen Bewohner so getan.

Mutter und Nachbarin mit Belastungstendenzen

Dieser andere Bewohner galt zunächst als verschollen, konnte dann aber doch noch an seinem neuen Aufenthaltsort nahe der holländischen Grenze gefunden und heute von der Polizei als Zeuge vorgeführt werden. Er bestätigte die Aussage des Angeklagten nicht. Auf Nachfrage sagte er:  Er habe einmal versucht, das gemeinsame Badezimmer auf der Etage zu betreten, dies jedoch sofort wieder gelassen, als er bemerkte, dass die 13-jährige Tochter darin duschte. Das war’s. Er habe nie Problem mit der Familie gehabt, die Mutter sei lediglich „etwas schwierig“, habe ihn aber nie beschuldigt.

„Mein Mitgefühl gilt jetzt schon meinem Kollegen in diesem Verfahren.“

Richterin Brigit Vielhaber-Karthaus

Umgekehrt behauptete die Mutter des Mädchens, eine deutsche Freundin ihrer Tochter sei von dem Angeklagten ebenfalls schon – wenn auch nur durch Anstarren – so belästigt worden, so dass diese Freundin nicht zum Spielen zur Massener Straße kommen dürfe. Auch dazu hörte das Gericht die deutsche Mutter und ihre Tochter als Zeugin. Ergebnis: Die Freundin konnte sich an keinen „unangenehmen Zwischenfall“ erinnern und ihre Mutter hatte ihr nie verboten, die Freundin in Holzwickede zu besuchen. Die Mutter bestätigte: Sie habe „überhaupt kein  Problem damit“,  wenn ihre Tochter die Freundin in den Häusern an der Massener Straße besuchen möchte.

Anders als bei der 13-jährigen Geschädigten erkannten das Gericht und auch die Staatsanwältin deutlich Belastungstendenzen bei der Mutter, die dem Angeklagten im Zeugenstand sogar Blutrache androhte. Den Vogel schoss allerdings eine Nachbarin der Familie ab, die in ihrer ersten Aussage als Zeugin erklärt hatte, dass sie von dem Rufen des Mädchens und auch sonst nichts Auffälliges am Tattag bemerkt habe, den Angeklagten also entlastete. Beim zweiten Mal im Zeugenstand erklärte diese Nachbarin plötzlich, Augenzeugin zu sein und bei der Tat hinzu gekommen zu sein, woraufhin der Angeklagte flüchtete. Ihre Aussagen wurden vom Gericht jedoch ganz außer Acht gelassen, so die Richterin. Mit ihrer offenkundigen Falschaussage hat sich die Zeugin allerdings strafbar gemacht und wird sich nun in einem gesonderten Prozess verantworten müssen.  „Mein Mitgefühl gilt jetzt schon meinem Kollegen in diesem Verfahren“, bemerkte die Richterin dazu.

13-jährige Tochter „absolut glaubwürdig“

Ebenfalls heute gehört wurden zwei 14-jährige Mädchen aus Dortmund zu einem Zwischenfall, der sich mit dem Angeklagten voriges Jahr im Maximare Hamm ereignete. Auf Befragen hatte der Angeklagte geschildert, dass er nach Nutzung der Wasserrutsche dort zufällig auf ein Mädchen im Becken gefallen sei.  Das Mädchen habe sich über ihn beschwert. Das Ermittlungsverfahren wurde jedoch eingestellt. Die beiden Mädchen schilderten heute den Zwischenfall im Maximare etwas anders: Der Angeklagte sei zwischen ihnen gerutscht und habe das vordere Mädchen zwischen seine Beine genommen und eingeklemmt. Weil er dies mit Absicht getan und nicht sofort losgelassen hatte, wandten sich die Mädchen an die Aufsicht.

In all diesen Widersprüchen, Spekulationen und Vorurteilen war für die Staatsanwältin, die Nebenklägerin und das Gericht das geschädigte Mädchen die einzige Konstante. Ihre Aussage sei „absolut glaubwürdig“, nachvollziehbar und ohne Widersprüche gewesen. Für das Gericht schien das Mädchen bei ihrer Aussage auch nicht unter dem Einfluss ihrer Mutter gestanden zu haben. Die Anklage forderte darum eine Haftstrafe von neun Monaten zur Bewährung ausgesetzt, die Anwältin des Mädchens Schmerzensgeld für die 13-Jährige.

Verteidiger fordert Freispruch

Der Verteidiger sah den Fall ganz anders. Er hatte die Glaubwürdigkeit des Mädchens begutachten lassen wollen, was die Richterin jedoch ablehnte. Aus Sicht der Verteidigung gibt es zwei Geschehensabläufe, die letztlich nur die beiden Beteiligten selbst beurteilen können. „Für mich ist überhaupt nicht erkennbar, welcher der beiden glaubwürdiger ist“, so der Verteidiger, der „im Zweifel für den Angeklagten“ auf Freispruch plädierte. Der Angeklagte selbst beharrte heute auch in seinem Schlusswort noch darauf, das Mädchen nicht begrapscht zu haben..

Ihr Urteil begründete die Richterin damit, dass sich die Aussage des 25-Jährigen im Gegensatz zu der des Mädchens an keiner Stelle bestätigt habe. Sogar seine Einlassung zu dem Vorfall im Maximare habe sich als unwahr herausgestellt. „Die Sache wurde zwar eingestellt, erlaubt aber doch einen Blick auf die Glaubwürdigkeit des Angeklagten“, so die Richterin. Die Mindeststrafe für den Tatvorwurf liegt bei sechs Monaten Haft, weshalb die verhängten neun Monate angemessen sind. Das Mädchen leide immer noch an den Folgen der Tat und betrete nur noch ungern allein das Treppenhaus.  Zur Bewährung konnte die Strafe ausgesetzt werden, weil der Angeklagte bislang nicht vorbestraft ist und sich offenkundig recht gut hier integriert hat. Auch hat der 25-jährige vor wenigen Monaten erst eine Ausbildungsstelle als Installateur angetreten.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

sexueller Missbrauch


Peter Gräber

Dipl.-Journalist

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