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Mitarbeiterinnen im Jobcenter beleidigt: Strafe für Hartz-IV-Empfänger reduziert

Keine Frage, dass sich die Berufung für den 29-jährigen arbeitslosen Hartz-IV-Empfänger aus Holzwickede gelohnt hat: Konnte er doch heute vor dem Landgericht Dortmund einen satten „Preisnachlass“ von 1 800 Euro erwirken, nachdem ihn das Amtsgericht Unna noch im September vorigen Jahres zu 3 000 Euro Geldstrafe wegen Beleidigung verurteilt hatte.  

Weil der Holzwickeder im Jobcenter Unna die Sachbearbeiterinnen am 30. Mai vorigen Jahres lautstark als „inkompetente Zicken“ bezeichnet hatte, war er vom Amtsgericht Unna wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen a‘ 25 Euro verurteilt worden.

Dafür, dass heute in zweiter Instanz dieses Urteil noch einmal geändert wurde, war vor allem ausschlaggebend, dass der Vorsitzende Richter Ludwig Brockmeier „den Eindruck gewonnen“ hatte, „dass man mit Ihnen auch ganz vernünftig reden kann“, wie er dem Holzwickeder erklärte.

Der hat sich heute tatsächlich gegenüber dem Gericht wesentlich einsichtiger gezeigt, als noch in  erster Instanz. Allerdings hatte ihm Richter Ludwig Brockmeier in väterlichem, aber durchaus unmissverständlichen Ton auch eine „goldene Brücke“ gebaut: Sollten die auf dem Flur wartenden Zeuginnen – die Mitarbeiterinnen aus dem Jobcenter – bei ihrer Aussage bleiben, „kann hier heute nichts anderes dabei herauskommen“  als in erster Instanz. Sollte er sich allerdings einsichtig zeigen, könne das Urteil des Amtsgerichts durchaus reduziert werden. „Denn die Höhe der Geldstrafe erscheint mir tatsächlich etwas happig“, so Richter Ludwig Brockmeier.

Holzwickeder in zweiter Instanz einsichtig

Daraufhin besann sich der 29-Jährige und räumte, anders als noch vor dem Amtsgericht, den Tatvorwurf ein. Daraufhin brauchten die Zeuginnen erst gar nicht mehr vernommen werden.

Da die Höhe der festzusetzenden Geldstrafe vom Einkommen eines Angeklagten abhängt, erkundigte sich der Vorsitzende Richter genau nach den Einkommensverhältnissen des Holzwickeders. Dieser lebt als lediger Hartz-IV-Empfänger in der fast 90 qm großen Vier-Zimmer-Eigentumswohnung seines Vaters in Holzwickede, für die er nach eigener Aussage „nur die Grundmiete in Höhe von 650 Euro warm“ zahlten muss.

Als Begründung für die für einen Hartz-IV-Empfänger ungewöhnlich großzügigen Wohnverhältnisse gibt der Vater von zwei Kindern (sieben und vier Jahre alt) an: „Ich brauche zwei Kinderzimmer, weil meine Kinder an den Wochenende bei mir leben.“ Die übrige Zeit leben sie bei ihrer Mutter. Unterhaltspflichtig ist der Holzwickeder nur für seine kleine Tochter. Gezahlt hat er bisher jedoch noch keinen Cent, weshalb das Jugendamt inzwischen „Unterhaltsansprüche in Höhe von 5- bis 6 000 Euro“ gegen ihn hat.

Zweifacher Vater völlig überschuldet

Außerdem hat der Holzwickeder nach eigenem Bekunden noch weitere „etwa 20- bis 30 000 Euro Schulden“, weil er im Anschluss an eine Maßnahme vom Jobcenter vorübergehend einmal keine öffentlichen Leistungen erhalten habe. „Ich musste ja irgendwie meinen Lebensunterhalt bestreiten“, so der Holzwickeder mit leicht vorwurfsvollen Unterton. Auf Nachfrage des Richters, wie es denn weitergehen soll, erklärte der Holzwickeder: „Ich werde Privatinsolvenz anmelden und bin auch schon beim Schuldenberater gewesen.“

Immer nur Unterstützung vom Jobcenter ist schließlich keine Perspektive. Man will sich doch auch mal etwas extra leisten.“

Ludwig Brockmeier, Vorsitzender Richter am Landgericht

Vom Jobcenter Unna, wo er nach dem Vorfall noch bis Juli dieses Jahres Hausverbot hat, erhält der Holzwickeder monatlich knapp 1 000 Euro Unterstützung, darin enthalten auch 96 Euro für seine beiden kleinen Kinder. Derzeit macht der der 29-Jährige eine Umschulungsmaßnahme. „Anschließend beginne ich eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann.“

„Ich hätte Sie auch sonst gefragt, warum Sie als junger Mann nicht selbst arbeiten wollen“, meinte Richter Ludwig Brockmeier. „Immer nur Unterstützung vom Jobcenter ist schließlich keine Perspektive. Man will sich doch auch mal etwas extra leisten.“

Einschlägige Vorstrafen

Für den Holzwickeder sprach heute vor allem seine Einsicht, gegen ihn allerdings seine sechs teils einschlägigen Vorstrafen. Trotzdem änderte der Vorsitzende Richter das Urteil des Amtsgerichts Unna ab und reduzierte die Geldstrafe auf 120 Tagessätze a‘ zehn Euro für den Holzwickeder. Dabei handelt es sich um eine Gesamtstrafe, in die zwei vorangegangene Urteile eingeflossen sind. Damit folgte der Richter einem Antrag der Staatsanwaltschaft.

In seiner Urteilsbegründung verwies Richter Ludwig Brockmeier darauf, dass sich die Höhe einer Geldstrafe nach dem Einkommen eines Angeklagten zu richten habe. „Wie der Amtsrichter bei einem Hartz-IV-Empfänger auf 25 Euro als Tagessatz kommt, erschließt sich mir nicht.“ Gleichzeitig redete der Richter dem 29-jährigen Holzwickeder noch einmal eindringlich ins Gewissen:  „Es darf nichts mehr vorfallen mit Ihnen. Sie würden dann wieder vor dem Amtsgericht Unna landen und können sich ausmalen, wie das ausgeht“, so Richter Ludwig Brockmeier. „Also halten Sie sich künftig zurück.“

Mangelnder Respekt

„Leider kommt es immer häufiger vor, dass Menschen sich mit Vertretern des Staatsapparates anlegen, ob das nun Polizisten, Feuerwehrmänner oder Rettungssanitäter sind“, so der Richter weiter.  „So etwas dürfen wir nicht hinnehmen und müssen diese Menschen schützen. Sie sollten sich auch mal überlegen, dass die Mitarbeiter in den Jobcentern 40 Stunden und mehr pro Woche arbeiten, damit Leute wie Sie Unterstützung erhalten. Wenn sie dafür schon keine Dankbarkeit erhalten, sollte man ihnen wenigstens Respekt zeigen.“

Sie sollten sich mal überlegen, dass die Mitarbeiter in den Jobcentern 40 Stunden und mehr pro Woche arbeiten, damit Leute wie Sie Unterstützung erhalten. Wenn sie dafür schon keine Dankbarkeit erhalten, sollte man ihnen wenigstens Respekt zeigen.“

Ludwig Brockmeier, Vorsitzender Richter am Landgricht

Mit seinem Urteil wolle er da ein Zeichen setzen, aber kein übertriebenes. Denn neben den 1 200 Euro muss der 29-Jährige auch noch die Kosten des Verfahrens zahlen. Darüber hinaus sei noch eine Geldstrafe aus einem weiteren Urteil offen und auch sein übriger Schuldenberg muss abgetragen werden. „Da kommt noch Einiges auf Sie zu“, glaubt der Richter. „Bisher haben Sie ja noch Glück gehabt. Der Papa hat die große Wohnung gestellt und für den Lebensunterhalt gab es öffentliche Leistungen. Ich kann Ihnen nur raten, nehmen Sie sich einen Schuldenberater und dann kann es vielleicht noch gut gehen mit Ihnen.“

Beleidigung


Peter Gräber

Dipl.-Journalist

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