Familienstreit auf einer Wiese an der Bahnhofstraße: Drei Monate Haft für prügelnden Bruder
Die Verhandlung vor dem Amtsgericht Unna heute (12. Januar) lässt nur erahnen, wie es um den Frieden in der Familie des 44-jährigen Angeklagten bestellt ist: Die Anklage wirft dem Holzwickeder zweifache gefährliche Körperverletzung an seiner Schwester vor.
Danach soll es am 7. September vorigen Jahres gegen 19 Uhr in und vor dem Haus Bahnhofstraße 1 in Holzwickede zu einem heftigen Streit zwischen dem Angeklagten J. und seiner Schwester S. gekommen sein. In dessen Verlauf soll der Angeklagte seine Schwester noch in der Wohnung angegriffen und mit Schlägen gegen ihren Kopf und in den Unterleib traktiert haben. Nachdem sich die Auseinandersetzung dann nach draußen auf eine Wiese vor dem Haus verlagert hatte, soll der 44-Jährige seine Schwester dort auch mit einer Flasche geschlagen haben.
Schwester erlitt erhebliche Verletzungen
Die Schwester trug erhebliche Verletzungen davon und wurde im Krankenhaus behandelt. Ärztlich attestiert wurden ihr u.a. eine Schädelprellung, eine Jochbeinprellung, ein Halswirbel-Syndrom sowie eine kleine blutende Wunde hinter dem linken Ohr.
Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, schilderte der Angeklagte, der gerade eine Haftstrafe wegen einer anderen Straftat verbüßt, wort- und gestenreich eine ganz andere Geschichte: „Das ist alles gelogen. Ich habe nichts davon gemacht.“ Er sei in der Wohnung seines Bruders gewesen, um eine Tür zu reparieren, die dieser eingetreten hatte. „Mein Bruder leidet an Schizophrenie und macht öfters mal Sachen kaputt.“ Frau H., eine gute Freundin, die sich um seinen Bruder kümmere, sei mit in der Wohnung gewesen, um sauber zu machen.
Auseinandersetzung begann in der Wohnung
Plötzlich sei die gemeinsame Schwester S. aufgetaucht und habe wissen wollen, was passiert und wo ihr Bruder sei. „Sie war sehr wütend und ist auf mich losgegangen“, so der Angeklagte. „Sie wollte den Schlüssel zur Wohnung und wollte an meine Tasche. Ich wollte ihr den nicht geben und da hat sie wild auf mich engeschlagen.“ Seine Schwester sei sehr aggressiv, weshalb auch die ganze Familie schon mit ihr gebrochen habe, erklärt der Angeklagte. „Ich habe aber nicht ein einziges Mal zurückgeschlagen, sondern einfach alle ihre Schläge eingesteckt.“ Die blutende Verletzung an ihrem Kopf müsse durch einen ihrer Ohrringe entstanden sein, den sie verloren hat, als er ihre wilden Schläge abzuwehren versuchte.
Kurz nachdem seine Schwester dann die Wohnung verlassen hatte, wollte auch der Angeklagte nach Hause gehen. „Doch da stand sie schon vor dem Haus, kam auf mich zu und holte sofort aus, um mich zu schlagen.“ Auf Nachfrage von Richterin Kathrin Dannehl räumte der Angeklagte ein, „eine Flasche Mezzomix aus dem Netto“ dabei gehabt zu haben. „Ich habe sie aber nicht geschlagen damit, sondern meine Schwester nur leicht weggedrückt, da warf sie sich sofort auf den Boden.“
Dass diese Aussage nicht die ärztlich attestierten Verletzungen der Schwester erklären können, störte den 44-Jährigen nicht. Er behauptete unbeirrt weiter: „Sie hat immer wieder auf mich eingeschlagen und wollte an mein Gesicht, was sie aber nicht geschafft hat. Ich habe mich nicht gewehrt und nicht einmal geschlagen.“
Autofahrerin bemerkte gewalttätige Auseinandersetzung
Anschließend hörte das Gericht die Zeugin K.. (54 J.) Sie hatte auf dem Nachhauseweg von der Arbeitsstelle aus ihrem Auto heraus beobachtet, wie eine Frau auf der Wiese vor dem Haus Bahnhofstraße 1 kauerte und schräg hinter ihr der Angeklagte stand und auf sie einschlug. „Die Frau saß auf der Wiese und umklammerte ihre Tasche.“ Durch das geöffnete Seitenfenster habe sie den Mann laut angeschrien, der daraufhin auch weggegangen sei. Die Zeugin stieg aus und kümmerte sich um die „stark zitternde“ Geschädigte. Im Gespräch mit der Frau habe diese irgendetwas von einer Flasche erzählt und dass sie von ihrem Bruder einen Schlüssel haben wollte. Bei der Polizei gab die Zeugin an, mindestens drei Schläge gesehen zu haben. Auf Nachfrage der Richterin erklärte die Zeugin heute: „Ich habe noch genau das von mir beschriebene Bild vor Augen. An mehr als diesen Schlag kann ich mich nicht mehr erinnern.“
Die Geschädigte nahm im Zeugenstand als Schwester des Angeklagten ihr Recht auf Aussageverweigerung wahr und hatte auch schon ihren Strafantrag zurückgenommen. N der Sachlage, so die Richterin, ändere dies allerdings nichts.
Schließlich wurde auch die H. als Zeugin gehört. Nach eigenen Angaben ist die 42-Jährige alkoholsüchtig und unbefristet krankgeschrieben. Als „gute Freundin, nicht Partnerin“ des Bruders des Angeklagten habe sie schon öfters dessen Wohnung gereinigt. Sie war auch Tattag mit dem Angeklagten in der Wohnung seines Bruders, um diese zu reinigen. Die Geschehnisse will sie von Anfang an mitbekommen haben. Während der Angeklagte die Tür reparierte, sei seine Schwester plötzlich in die Wohnung gekommen. „Sie meckerte herum und warf J. vor, die Tür kaputt gemacht zu haben. Dann hat sie mich als Junkie und Alki beschimpft und wollte auf mich los. Da ist J. dazwischen gegangen. Aber er hat weder geschlagen noch eine Flasche oder Waffe gehabt.“ Die Schwester habe den Schlüssel der Wohnung gewollt. Die Schwester sei sehr aufgebracht gewesen und schließlich nach draußen gegangen und habe sich auf die Wiese gesetzt. „Ihre Kinder, die dabei waren, haben sich geschämt, weil ihre Schulkameraden auf der anderen Straßenseite das beobachten konnten.“
Widersprüchliche Zeugenaussagen
Trotz mehrmaliger Nachfrage der Richterin beharrte die Zeugin H. darauf, dass der Angeklagte „nicht geschlagen“ und auch „keine Flasche gehabt“ hat. Es habe nur ein Handgemenge gegeben. Zwar räumte die 42-Jährige ein, damals schon „mindestens eine halbe Flasche Wodka“ intus gehabt zu haben. „Trotzdem habe ich noch alles mitbekommen.“ Wenn die andere Zeugin etwas anders behauptet hat, „dann stimmt das nicht“, so H.. Selbst als die Richterin die Zeugin darauf hinwies, dass der Angeklagte selbst eingeräumt habe, eine Flasche Mezzomix bei sich gehabt zu haben, blieb die Zeugin bei ihrer Aussage.
Danach schloss die Richterin die Beweisaufnahme. Da sich nicht zweifelsfrei klären ließ, ob Angeklagte seine Schwester auch mit einer Flasche geschlagen hat, wies die Richterin darauf hin, dass wohl nur eine einfach Körperverletzung für eine Verurteilung in Betracht kommt.
Auch die Staatsanwältin sah in ihrem Plädoyer nur den einen Schlag des Angeklagten draußen vor der Tür als nachgewiesen an, den auch erste Zeugin gesehen haben will. Diese sei glaubwürdig gewesen und stehe in keinem Verhältnis zu einem der Beteiligten. Die Aussage der Zeugin H. sei dagegen widersprüchlich gewesen. Gegen den Angeklagten sprechen seine mehrfachen, teils einschlägigen Vorstrafen und eine ungünstige Sozialprognose. Deshalb sei eine Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung tat- und schuldangemessen.
Der Verteidiger des 44-Jährigen auch den Schlag draußen vor der Tür nicht als zweifelsfrei nachgewiesen an und forderte deshalb einen Freispruch für seinen Mandanten. Ebenso wie die Zeugin H,. habe auch die erste Zeugin nur geschildert, was sie wahrgenommen hat. Ob es tatsächlich ein Schlag oder nur eine heftige Handbewegung des Angeklagten gewesen sei, wäre nicht zweifelsfrei geklärt.
Nur einfache Körperverletzung nachweisbar
Das Urteil von Richterin Kathrin Dannehl lautete schließlich auf drei Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Was in der Wohnung passiert sei, habe nicht zweifelsfrei festgestellt werden können, weshalb der Angeklagte dafür freizusprechen sei. Doch dass er mindestens einmal seine Schwester auf der Wiese vor dem Haus geschlagen hat, davon zeigte sich die Richterin überzeugt: Die Zeugin K. sei „sehr glaubwürdig“ gewesen und habe „ruhig und ohne jede Belastungstendenzen“ geschildert, dass sie einen Schlag gesehen habe. Eine Flasche habe diese Zeuigin nicht gesehen, weshalb nur eine einfache Körperverletzung in Betracht komme. Die Zeugin H. habe dagegen eine sehr widersprüchliche Aussage gemacht und deutlich Tendenzen gezeigt, den Angeklagten schützen zu wollen. Zudem passten die Aussage des Angeklagten überhaupt nicht zu dem ärztlich festgestellte Verletzungsbild der Schwester.
Eine Bewährungsstrafe sei nicht mehr infrage gekommen: Der Angeklagte sei mehrfach auch wegen einschlägiger Gewalttaten vorbestraft, verbüße aktuell auch noch eine Haftstrafe und lasse zudem „relativ hohe Rückfallgeschwindigkeit“ erkennen.