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Der Kreis wird kleiner, die Aufgaben wachsen: Deshalb möchte die Flüchtlingsinitiative "Willkommen in Holzwickede" neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter werben. Interessierte sind zum nächsten Treffen der Initiative am Donnerstag (11. August) im Alois-Gemmeke-Haus eingeladen. Das Foto zeigt ein Gruppentreffen im Alois-Gemmeke-Haus. (Foto: P. Gräber - Emscherblog)

Eiszeit statt Respekt: Gemeindespitzen reden nicht mehr mit ehrenamtlichen Helfern

Der Helferkreis bei syeinem Treffen am Dienstag im Alois-Gemmeke-.Haus. (Foto: P. Gräber)
Regelmäßig tauschen sich die Ehrenamtlichen über die Probleme bei der Flüchtlingsbetreuung aus: Der Helferkreis bei seinem Treffen am Dienstag im Alois-Gemmeke-Haus. (Foto: P. Gräber)

Landauf,  landab wird in dieser „Woche des Respekts“ in NRW das Engagement der Ehrenamtlichen für die Gesellschaft gewürdigt. Nicht so in Holzwickede: Hier ist ein Konflikt zwischen der Verwaltungsspitze und den Ehrenamtlichen Flüchtlingsinitiative eskaliert. Bürgermeisterin Ulrike Drossel und der 1. Beigeordnete Uwe Detlefsen haben dem Helferkreis die persönliche Zusammenarbeit aufgekündigt. Es herrscht Funkstille auf höchster Ebene.

Darüber informierten die beiden Sprecher des Helferkreises, Friedhelm Nusch und Roswitha Goebel-Wiemers, die etwa 30 Ehrenamtlichen bei ihrem Treffen am Dienstagabend im Alois-Gemmeke-Haus.  Wie in der Vergangenheit üblich sollte auch die Bürgermeisterin an diesem Treffen teilnehmen. Doch Ulrike Drossel blieb dem Helferkreis fern und wird auch in Zukunft nicht mehr an den regelmäßigen Gesprächen mit den Ehrenamtlichen teilnehmen.

„Das hat uns die Bürgermeisterin so in einem Gespräch mitgeeilt“, informierte Nusch die Ehrenamtlichen. Dieses Gespräch, an dem auch der 1. Beigeordnete Uwe Detlefsen teilnahm, habe im Vorfeld des Treffens in recht frostiger Atmosphäre im Rathaus stattgefunden und knapp zehn Minuten gedauert. Im Mittelpunkt habe ein Artikel aus der Lokalpresse gestanden, in dem die Verwaltung von Ehrenamtlichen kritisiert worden sei. Der Artikel habe zu Unmut im Sozialteam der Gemeinde geführt. Einige Mitarbeiter fühlten sich durch die veröffentlichte Kritik beleidigt. „Das Gespräch endete damit, dass uns die Bürgermeisterin erklärte, nicht mehr mit uns sprechen zu wollen. Das gilt auch für den Beigeordneten“, erklärten Friedhelm Nusch und Roswitha Göbel-Wiemers am Dienstagabend. „Die Hausbetreuung soll allerdings noch weiter stattfinden.“

Wir haben daraufhin mit Ralf Berg, einem der Sozialarbeiter, gesprochen. Er hat uns bestätigt, dass es keinerlei Animositäten uns gegenüber gibt.“

Friedhelm Nusch, Sprecher des Helferkreises

„Es wurde auch suggeriert, dass wir Ehrenamtlichen an den beiden Abgängen der Sozialarbeiter schuld seien“, so Friedhelm Nusch weiter.  „Wir haben daraufhin mit Ralf Berg, einem der Sozialarbeiter, gesprochen. Er hat uns bestätigt, dass es keinerlei Animositäten uns gegenüber gibt.“ Allerdings habe es Spannungen im Sozialteam der Gemeinde gegeben. Die Sozialarbeiterin Jana Thiel, die zum Monatsende ebenfalls gekündigt hat, konnte Friedhelm Nusch nicht erreichen. Sie hatte aber ihre Kündigung gegenüber der Gemeinde mit der Aussicht auf eine Festanstellung bei einem anderen Arbeitgeber begründet.

Helferkreis will weiter Versäumnisse ansprechen

Dass die Holzwickeder Verwaltungsspitzen ihnen die persönliche Gesprächsebene aufgekündigt haben, kann die Ehrenamtlichen allerdings nicht davon abhalten, sich weiter für die Belange der Flüchtlinge zu engagieren. Auch wenn das Klima inzwischen frostiger geworden ist und auf höchster Ebene Funkstille herrscht. „Wir sind keine Behörde, sondern eine freiwillige Initiative“, erinnert Friedhelm Nusch. „Es ist unser Recht und unsere Pflicht, Dinge anzusprechen, die nicht in Ordnung sind. Eine Gemeindeverwaltung muss solche Kritik einfach ertragen.“

„Wir sind keine Behörde, sondern eine freiwillige Initiative. Es ist unser Recht und unsere Pflicht, Dinge anzusprechen, die nicht in Ordnung sind. Eine Gemeindeverwaltung muss solche Kritik einfach ertragen.“

Friedhelm Nusch, Sprecher des Helferkreises der Ehrenamtlichen

Wie wichtig es dabei wäre, dass die Bürgermeisterin oder ihr Vertreter ein offenes Ohr für die Ehrenamtlichen haben, zeigte der weitere Verlauf des Treffens am Dienstag, wo eine ganze Reihe kritikwürdiger Punkte zur Sprache kamen, zu denen der Helferkreis gerne Informationen aus erster Hand erhalten  hätte.

Bewohnern werden Unterschriften abgenötigt

So kritisiert der Helferkreis etwa, dass die Gemeinde derzeit in den Notunterkünften eine fünfseitige (!) Hausordnung in deutscher Sprache verteilen lässt. „Dabei können die Bewohner nicht mal eine Seite verstehen“, so einer der Ehrenamtlichen dazu. Übersetzungen oder Erklärungen gab es nicht dazu. In den Modulbauten wurde lediglich eine kleine Versammlung einberufen, an der aber nur elf Bewohner teilnehmen konnten. Auch wenn keiner der Bewohner die Hausordnung verstehen kann — unterschreiben mussten trotzdem alle. In mindestens einem Fall wurde eine Familie, die nicht unterschreiben wollte, mit einer Drohung unter Druck gesetzt („We have punishment. I promise you!“) Sollte das zutreffen, erfüllt das den Straftatbestand der Nötigung.

Wer das für übertrieben hält, kann sich selbst einmal fragen, ob er freiwillig ein fünfseitiges Schriftstück unterschreiben würde, von dem er kein einziges Wort versteht, weil es in arabischen Schriftzeichen abgefasst ist. Abgesehen von diesem juristischen Aspekt, stellt sich natürlich die Frage, für wen man überhaupt Hausordnungen erstellt, wenn es offenbar nicht darauf ankommt, dass Bewohner sie auch verstehen.

Belegungskonzept für die Unterkünfte fehlt noch immer

Außerdem wiesen die Ehrenamtlichen erneut darauf hin, dass es noch immer kein Konzept für die Belegung der Notunterkünfte gibt. Bislang erscheint die Belegung willkürlich. Als Beispiel nannte Friedhelm Nusch die neuen Modulbauten an der Bahnhofstraße und die ehemalige Raketenstation an der Mühlenstraße. Bevor die Modulbauten bezogen wurden, habe es geheißen, dass die Bewohner aus der Rausinger Halle und dem Sportheim Opherdicke in die Unterkünfte auf der linken Seite einquartiert werden und Unterkünfte auf der rechten Seite für Familien vorbehalten sein sollen. „Jetzt hat die Verwaltung Einzelpersonen aus der Mühlenstraße auch in die Modulbauten auf der rechten Seite verlegt“, so Friedhelm Nusch. „Damit hat man natürlich jetzt auch Präzedenzfälle geschaffen. Wie will man den letzten fünf Jugendlichen in der Mühlenstraße erklären, warum sie nicht auch noch zur Bahnhofstraße verlegt werden.“ Auch um den Eindruck von Willkür zu vermeiden, mahnt der Helferkreis ein Belegungskonzept für die Zukunft an. Abgesehen davon sei auch das Büro für Mitarbeiter des Sozialamtes oder der Caritas noch immer nicht wie vorgesehen in einem der Modulbauten eingerichtet.

Mühlenstraße schon fast wieder leer gezogen

Alle Zimmer sind mit Betten und Schränken ausgestattet. Bauleiterin Uta Weise, Sirko Nickel (Hausmeisterdienst), Sina Rumpke (Koordination der Flüchtlingsbetreuung) und Bürgermeisterin Ulrike Drossel. (Foto: Peter Gräber)
Die Unterkünfte in der Mühlenstraße sind derzeit kaum belegt: Bürgermeisterin Ulrike Drossel (r.)  mit Bauleiterin Uta Weise (l.), Sirko Nickel (Hausmeisterdienst) , Sina Rumpke (Koordination der Flüchtlingsbetreuung) bei der offiziellen Inbetriebnahme der Unterkunft. (Foto: Peter Gräber)

Offenbar hat aber auch der zuständige Fachbereichsleiter Matthias Aufermann die Fraktionen im Fachausschuss am Montagabend falsch informiert. Denn in seinem Bericht zur Flüchtlingssituation teilte Aufermann noch mit, dass in der ehemaligen Raketenstation 40 Personen untergebracht sind – ebenso viele wie in den Modulbauten an der Bahnhofstraße. (Stand 9/16). Aktualisiert wurden diese Zahlen vom Fachbereichsleiter nicht. Die Ehrenamtlichen vom Helferkreis wissen es besser: „In der Raketenstation sind derzeit nur noch fünf junge Männer und eine zwölfköpfige Familie untergebracht“, bestätigte der ehrenamtliche Betreuer dieser Bewohner. „Alle anderen Bewohner sind inzwischen zur Bahnhofstraße verlegt worden.“

Gerne hätte der Helferkreis die Bürgermeisterin auch darauf aufmerksam gemacht, dass es rund um die Notunterkünfte noch immer keine Beleuchtung gibt. „Wenn alle zu Bett gegangen sind, ist da stockdunkel“, so Friedhelm Nusch. „Niemand sieht, was da auf dem Gelände passiert oder wenn jemand kommt. Das ist ganz schlecht und eine Frage der Sicherheit nach innen, aber auch nach außen.“ Dortmund-Dorstfeld sei nur 30 Kilometer entfernt, erinnert der Helferkreis-Sprecher: „Wenn da mal etwas passiert, stehen nicht wir anschließend vor der Kamera, sondern unsere Politiker.“

Keine Beleuchtung und kein Sicherheitskonzept

Modulbauten, Flüchtlinge
Ortstermin des Fachausschusses in den Modulbauten an der Bahnhofstraße: Noch gibt es keine Beleuchtung, kein WLAN und kein Belegungskonzept. (Foto: P. Gräber)

Verschlimmert wird dieses Versäumnis nach Ansicht der Ehrenamtlichen noch dadurch, dass es „auch kein Sicherheitskonzept oder Nachtdienst“ gibt. Als Folge davon rückt bei Problemen immer sofort die Polizei an. „Man muss aber nicht bei jedem noch so kleinen Konflikt die Polizei rufen“, meint dagegen Friedhelm Nusch. „Oft passiert das nur aus Hilflosigkeit. Es sorgt aber in der Öffentlichkeit auch für einen falschen Eindruck.“

„Leider hat man auch die Telefonleitungen und WLAN-Anschlüsse für die neuen Notunterkünfte vergessen“, nennt der Helferkreis-Sprecher einen weiteren Kritikpunkt.

Gerne hätten die Ehrenamtlichen auch bei der Verwaltungsspitze nachgefragt, warum zum wiederholten Male abrufbare öffentliche Zuschüsse für die Flüchtlingsarbeit nicht beantragt wurden durch die Verwaltung. „Dieses Mal hätte man rund 6.500 Euro bekommen können, wovon etwa die Hälfte auch für unserer Initiative bestimmt gewesen wäre“, sagt Friedhelm Nusch.

Ein weiteres Thema, das über die Hausbetreuung hinaus geht und das die Ehrenamtlichen gerne mit der Verwaltungsspitze besprochen hätten, ist die Problematik der Wohnungssuche: „Wir können für die anerkannten Asylbewerber keine Wohnungen finden in der Gemeinde“, so der Helferkreis-Sprecher. „Wir müssen diese Menschen doch irgendwie integrieren und können sie nicht einfach sich selbst überlassen.“ Es gebe aber auch noch ein ganz anderes Problem: „Jeder Flüchtling, der anerkannt wird, fällt sofort aus der Quote heraus und die Gemeinde muss einen neuen Flüchtling für ihn aufnehmen. Er kann aber nicht die Notunterkunft verlassen, weil er keine Wohnung findet.“ Als Folge wird sich die Unterbringungssituation in der Gemeinde schon sehr bald wieder deutlich verschärfen, fürchten die Ehrenamtlichen. „Gerne hätten wir gewusst, wie die Gemeinde darauf reagieren will.“

Bürgermeisterin setzt auf Hauspaten

Bürgermeisterin Ulrike Drossel teilte gestern auf Nachfrage zur erklärten Funkstille zwischen ihr und dem Helferkreis mit: „Ich habe mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mit zwei Steuerungsgruppen intensiv ein Jahr zusammen gearbeitet. Wenn wir jedoch erkennen, dass die direkte Kommunikation zwischen ehrenamtlich engagierten Hauspaten und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zielführend und schneller ist, stärken wir diese Basis der Zusammenarbeit. Dieser zukünftige Weg wurde mit den Teilnehmern der Steuerungsgruppe in der vergangenen Woche kommuniziert.“

Zu Detailfragen verwies die Bürgermeisterin auf ihren zuständigen Fachbereichsleiter Matthias Aufermann. Der war allerdings für eine Stellungnahme gestern nicht erreichbar.

Der Kommentar

Zugegeben, die Mitarbeiter im Rathaus haben auch noch etwas anderes zu tun, als sich um Flüchtlinge zu kümmern. Und ja, es kann ganz schön störend und nervig sein, wenn ehrenamtliche Helfer, die ganz auf ihr Problem fokussiert sind, die tägliche Verwaltungsroutine stören.

Doch wie borniert muss ein Bürokrat oder eine Politikerin sein, um nicht zu erkennen, dass es genau solche „Störungen“ sind, die im Interesse aller Beteiligten sind und auch der eigenen Arbeit nützen. Die Ehrenamtlichen aus dem Helferkreis sind es schließlich, die seit zwei Jahren in bewundernswerter Weise, häufig unter großen persönlichen Entbehrungen, den engsten Kontakt zu den Menschen halten, die in unserer Mitte Zuflucht gefunden haben. Für diese Flüchtlinge verkörpern diese ehrenamtlichen Helfer das „menschliche“ Antlitz Holzwickedes und nicht seine hauptberuflichen Angestellten und Beamten.

Zum Glück gibt es in Holzwickede längst nicht so dramatische Vorfälle im Zusammenhang mit der Unterbringung von Flüchtlingen wie sie aus anderen Kommunen bekannt sind. Das ist vor allem auch den ehrenamtlichen Helfern zu verdanken.

Wer aus persönlichen Animositäten heraus diese Ehrenamtlichen vor den Kopf stößt, hat nicht verstanden, was diese Gemeinde bislang so liebenswert und stark gemacht hat im Vergleich zu anderen Kommunen. Hier in Holzwickede konnte bisher Vieles über kurze, direkte Wege, eine persönliche Ansprache und einen respektvollen Umgang miteinander geregelt werden.

Eine Grundvoraussetzung dafür ist die Bereitschaft zur Kommunikation und auch Kritik anzunehmen. Wenn Kritik schon nicht als gerechtfertigt oder gar konstruktiv angenommen werden kann, muss von den Verantwortlichen im Rathaus zumindest erwartet werden, dass sie sich sachlich damit auseinandersetzen. Und zwar nicht hinter verschlossenen Türen unter ihresgleichen, sondern offen gegenüber denjenigen, die sie geäußert haben und die es angeht.

Wer dazu nicht bereit ist, läutet das Ende einer Kultur ein, die Holzwickede bisher immer ausgezeichnet  und manche Holzwickeder sogar mit Stolz erfüllt hat. (Peter Gräber) 

Flüchtlinge, Helferkreis


Peter Gräber

Dipl.-Journalist

Kommentar

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