Bericht der Gemeinde zur Situation der Flüchtlinge: Lage immer dramatischer
Die ersten Flüchtlinge, die noch vor wenigen Wochen auf dem Bahnhof in Ungarn bis zu ihrer Durchreise nach Deutschland ausharren mussten, haben inzwischen die Kommunen erreicht — mit teils dramatischen Folgen. Und auch in Holzwickede ändert sich das bisherige allgemeine Wohlfühlklima, was die Mitarbeiter der Verwaltung und Menschen in den Sport- und Kulturvereinen, Schulen und Kindergärten zu spüren bekommen. Das ist der Tenor des Berichtes zur Flüchtlingssituation in Holzwickede, den der 1. Beigeordneten, Uwe Detlefsen, heute im Haupt- Und Finanzausschuss gab.
Danach wird die Situation immer dramatischer. Noch immer weiß in Holzwickede und auch in den anderen Kommunen niemand, wie viele Flüchtlinge noch kommen werden. Der Bund rechnet mit 800.000 bis eine Million Menschen in diesem Jahr. „Gut möglich, dass es im nächsten Jahr wieder ebenso viele Flüchtlinge sein werden“, meint Uwe Detlefsen. Während früher regelmäßig Plätze in den Notunterkünften der Gemeinde frei wurden, ist das aktuell längst nicht mehr der Fall. Stattdessen kommen täglich neue Flüchtlinge dazu, die untergebracht werden müssen“, erklärt Detlefsen.
Insgesamt sind in der Emschergemeinde aktuell 145 Flüchtlinge untergebracht. 128 Flüchtlinge befinden sich davon derzeit im Verfahren, 14 Asylbewerber sind anerkannt worden, drei abgelehnte Asylbewerber sind „vollziehbar“, wie es im Amtsdeutsch heißt, können also abgeschoben werden. „Es könnten demnach vielleicht maximal 17 Plätze in den Unterkünften frei werden“, so Detlefsen. Allein in diesem Monat sind Holzwickede aber schon 32 Flüchtlinge neu zugewiesen worden. Es wird also dringend Platz zur Unterbringung benötigt.
Die meisten Informationen über die Flüchtlinge hat der Busfahrer, der die Menschen bringt“
Uwe Detlefsen, 1. Beigeordneter der Gemeinde Holzwickede
Bislang wurden die Flüchtlingen vom Land über den RP Arnsberg mit einem Vorlauf von drei Tagen zugewiesen. Inzwischen kommen sie binnen 24 Stunden. Und schlimmer noch: Die Gemeinde weiß über die Menschen, die kommen, so gut wie nichts. „Die meisten Informationen über die Flüchtlinge hat der Busfahrer, der die Menschen bringt“, sagt Detlefsen. Und diese Situation sei „megaschwierig“ für die Verwaltungsmitarbeiter ebenso wie für die Flüchtlinge selbst.
Mit Schreiben vom 24. September hat das Land NRW die Gemeinde informiert, dass das zuständige Dezernat 20 beim RP Arnsberg zum Jahreswechsel auch zwischen den Feiertagen besetzt sein und Zuweisungen an die Kommunen vornehmen wird. Gleichzeitig fordert das Land dazu auf, „Sorge dafür zu tragen, dass in allen Kommunen die notwendigen Maßnahmen zur Aufnahme der Flüchtlinge getroffen werden“.
In Holzwickede ist aber längst bei den Unterkünften das Ende der Fahnenstange erreicht. Flüchtlinge sind momentan untergebracht
- in den Häusern Massener Straße 60 und 71
- an der Nordstraße 58
- an der Bahnhofstraße 23 in einem Gebäude des früheren Sozialkaufhaus
- in der ehemaligen Rettungswache Friedrich-Ebert-Straße 4
- dem Sportheim Opherdicke
- und ab Oktober auch im zweiten Gebäude des früheren Sozialkaufhauses an der Bahnhofstraße 23.
Wie Holzwickedes Beigeordneter berichtet, hat die Gemeinde deshalb auch schon beim Bund nachgefragt, ob die ehemalige Emscherkaserne nicht als Erstaufnahmestelle genutzt werden kann. Als solche hätte Holzwickede dann auch keine weiteren Zuweisungen mehr zu erwarten.
Klare Antwort es Bundes: Die Gebäude auf dem Kasernengelände sind „definitiv nicht mehr nutzbar“. Aber auch das Kasernengelände allein sei aufgrund seines Zustandes und der Topografie nicht für Unterbringung von Flüchtlingen geeignet – und außerdem auch zu klein. „Erstaufnahmestellen werden für unter 500 Menschen gar nicht mehr eingerichtet, weil es sich nicht lohnt“, erläutert Uwe Detlefsen.
Kleine Turnhalle am Schulzentrum wird belegt
Vor diesem Hintergrund haben die Verantwortlichen im Rathaus angedacht, die Rausinger Halle zur Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen. Verschiedene Sport-, Kultur- und VHS-Angebote sowie die Ballettkurse und einige andere Veranstaltungen hätten dann nicht mehr stattfinden können. Doch die Rausinger Halle kann nicht für Flüchtlinge genutzt werden, weil „derzeit keine Küchen- und Sanitärcontainer zu bekommen sind“, so Detlefsen. Darum habe man sich kurzfristig entscheiden, die kleine Turnhalle neben der Schwimmhalle am Schulzentrum mit Flüchtlingen zu belegen. Dort sind Sanitäranlagen vorhanden. Allerdings sind der Schul- und Vereinssport beeinträchtigt. „Wir haben mit den Schulen und betroffenen Vereinen gesprochen“, erklärt Uwe Detlefsen. „Dort sind wir auf Kooperationsbereitschaft gestoßen, auch wenn man natürlich nicht begeistert war.“
Vorsichtshalber hat sich die Gemeinde auch entschlossen, Standardcontainer zu bestellen, die in vier bis sechs Monaten geliefert werden können. Preis: 15.000 bis 17.000 Euro pro Container oder 166 Euro/Monat Miete.
Was die Personallage im zuständigen Fachbereich II angeht, ist längst der Notstand ausgerufen. „Wir kommen mit unserer Stammbesetzung nicht mehr nach“, räumt Uwe Detlefsen ein. Darum seien jetzt alle Mitarbeiter gefordert, ihre gewohnten Aufgaben bei Seite zu legen. „Wir müssen auf diese absolut neue Situation reagieren“, fordert Detlefsen. „Es ist eine Umstrukturierung in allen Bereichen nötig.“ Dadurch komme es natürlich in den Bereichen Schule, Sport, Kultur zu Einschränkungen. Derzeit sei ein Mitarbeiter nur mit der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten beschäftigt, ein anderer sei damit befasst, diese Räume dann bewohnbar zu machen, wieder eine andere Mitarbeiterin sei mit der verwaltungstechnischen Erfassung und Bearbeitung der Flüchtlinge befasst. „Woran es hapert, ist die zusätzliche Sachbearbeitung vor Ort in den einzelnen Unterkünften.“ Wenn neue Flüchtlinge kommen, fehle zum Beispiel jemand, der die Menschen dann vor Ort in die Unterkünfte einweist.
„Profis und Ehrenamtler können nicht mehr, sie stehen mit dem Rücken zur Wand.“
Dr. Bernd Jürgen Schneider, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW
In nüchternen Zahlen: Das Land sieht pro 200 Flüchtlinge einen Personalschlüssel von mindestens vier Betreuer und eine Heimleitung vor. Für alle sieben Unterkünfte in Holzwickede gibt es derzeit nur einen Betreuer. Allerdings ist die Situation in anderen Kommunen nichts viel anders. Deshalb schlägt jetzt auch der Städte- und Gemeindebund NRW Alarm: Wenn der Zustrom nicht rasch gestoppt oder erheblich reduziert werde, sei in vielen Kommunen eine geordnete Verwaltung nicht mehr möglich. „Profis und Ehrenamtler können nicht mehr, sie stehen mit dem Rücken zur Wand“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW, Dr. Bernd Jürgen Schneider, heute in Düsseldorf.
„Mitarbeiter wachsen aber nicht auf Bäumen“, so der Beigeordnete im Ausschuss. „Darum müssen jetzt alle die Ärmel hochkrempeln und solidarisch sein.“ Wie angespannt die Situation bereits ist, zeigt sich auch daran, dass heute sehr viele Zuhörer die Sitzung besuchten: Schülern des CSG, Eltern und Lehrer und auch die Fraktionsvorsitzenden der kleinen Partien im Rat waren heute schon den ganzen Tag über Sturm gelaufen, weil die Verwaltungsspitze angeblich die Schulsozialarbeit am Clara-Schumann-Gymnasium einschränken will. Dass dies nicht der Fall ist und es sich um eine „teils bewusst verbreitete Falschinformation“ handelt, versicherte der Beigeordnete zum Abschluss seines Berichtes.
Schulsozialarbeit am CSG bleibt wie bisher erhalten
Richtig sei, dass die Schulsozialarbeit wie bis zum 1. August diesen Jahres mit 30 Wochenstunden fortgeführt werden soll. Angesichts der schwierigen Personallage sei jedoch beabsichtigt, auf die ab 1. August 2015 vorgesehene Ausweitung der Schulsozialarbeit um 14 Wochenstunden zunächst zu verzichten und diese zunächst nur bis zum Jahresende in die Flüchtlingsbetreuung umzuleiten. „Wir suchen händeringend Mitarbeiter für die Flüchtlingsarbeit. Es geht um pure Veraltungsarbeit. Auch aus dem Bauamt und der Kämmerei sind bereits Mitarbeiter mit anderen Aufgaben betraut.“
Auf Zorah Roshan-Appel sei man gekommen, weil die pädagogisch-sozialpädagogische Ausbildung passt, keine Berührungsängste zu Flüchtlingen bestehen, da die Stelleninhaberin ja auch schon ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit engagiert ist und wohl auch Sprachkenntnisse vermutet werden können. „Es gab auch eine Abstimmung darüber mit der Schulleitung“, so Detlefsen. Schulleiterin Heike Bennet sei nicht erfreut gewesen, habe aber selbstverständlich ihre Unterstützung zugesagt, zumal es sich nur für einen überschaubaren Zeitraum handeln soll. Zudem sei das Clara-Schumann-Gymnasium bekanntlich eine Schule ohne Rassismus und mit Courage. Auf Bitten der Schulleiterin sicherte die Gemeinde der Schulleiterin ebenfalls zu, dass insbesondere die vier Schulstunden, mit denen Zorah Roshan-Appel in den Stundenplan integriert ist sowie ihre Arbeit mit den Aydaco-Gruppen ohne jede Einschränkungen fortgeführt werden können.
„Wir haben niemals davon gesprochen, dass die Schulsozialarbeit auf sechs Stunden reduziert oder eingeschränkt werden soll“, betonte Uwe Detlefsen. Die Ausschussmitglieder, die sich bereits tagsüber für den Erhalt der Schulsozialarbeit eingesetzt hatten, zeigten sich irritiert: „Irgendetwas stimmt doch da nicht. Wir hatten ganz andere Informationen“, so etwa FDP-Sprecher Jochen Hake. Doch der Beigeordnete blieb dabei: „Die Schulsoziarbeit bleibt wie gehabt mit 30 Stunden erhalten. Wir halten es aber auch nach wie vor vertretbar, die Aufstockung mit maximal 14 Stunden zunächst noch nicht vorzunehmen.“ Das Vorgehen sei auch mit der Schulleitung so einvernehmlich abgestimmt.
Was im öffentlichen Teil der Sitzung heute nicht zur Sprache kam: Zorah Roshan-Appel wird mit maximal 14 Stunden gar keine Aufgaben in der Flüchtlingsarbeit, sondern in der Altenarbeit übernehmen, da sie sich aus persönlichen Gründen nicht dazu in der Lage sieht, mit Flüchtlingen zu arbeiten. Für sie wird Manuela Hubracht aus der Altenarbeit die Aufgaben in der Flüchtlingsbetreuung übernehmen.