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Beim HSC-Adventsfenster gelungene Kombination von Kultur und Sport

Über 80 Besucher kamen zum Adventsfenster des Holzwickeder Sport Clubs und lauschten den literarischen Vorträgen von Gerd Kolbe, Jenz Rother und Doris Volke. (Foto: privat)

Dort, wo sonst eifrig über Fußball diskutiert wird, standen am Freitag, 23. Dezember, literarische Vorträge auf dem Programm. Beim 5. Adventsfenster des Holzwickeder Sport Clubs (HSC) erfreuten sich die rund 80 Besucher über literarische Vorträge von Gerd Kolbe, Alt-Bürgermeister Jenz Rother und Doris Volke.

Einer der Höhepunkte war die von Gerd Kolbe selbst geschriebene, aber von den Tatsachen her wahre Geschichte vom Gastspiel der brasilianischen Nationalmannschaft gegen die Auswahl Haitis im Jahre 2004. Dieses Fußballspiel war der Wendepunkt im blutigen Bürgerkrieg und trug maßgeblich zum Frieden bei. Jenz Rother trug die „Kirchengeschichte“ vor, ein heiteres Stück über einen „typischen Gottesdienst“ mit seinen verschiedenen Akteuren von Besuchern, die eigentlich nur zur Weihnacht den Weg ins Gotteshaus finden, vom Chor, Küster bis hin zum Pastor. Doris Volke schließlich verlas die Geschichte „Weihnachten ohne Mutter“ – auch eine irgendwie typische und für viele Menschen nicht unbekannte Gegebenheit zur Weihnacht. Gemeinsam gesungene Weihnachtslieder und das Treffen mit vielen Bekannten und Freunden rundeten den gelungenen Abend im Ballhaus im Montanhydraulik-Stadion gelungen ab.

Mit freundlicher Genehmigung von Gerd Kolbe drucken wir hier seine Geschichte „Brasilianische „Friedenstauben“ auf Haiti“ ab.

Weihnachtsgeschichte 2016 von Gerd Kolbe

Brasilianische „Friedenstauben“ auf Haiti

Die Papageien in der Karibik sind wunderschön, die auf Haiti gelten sogar als die schönsten der Welt überhaupt. Zu diesen Prachtexemplaren gehört die Papageiendame Julietta, die in ihrer Jugend liebevoll „Stella Haiti“, der Stern von Haiti, genannt wurde.

Julietta ist bereits sehr, sehr alt und mittlerweile Ur-, Ur-, Ur-, Ur-, Ur-Großmutter. Man munkelt sogar respektvoll hinter dem vorgehaltenen Flügel, sie habe schon Christoph Columbus kennengelernt, als dieser 1492 die sogenannte „Neue Welt“ entdeckte. Das dürfte zwar leicht übertrieben sein, ist aber dennoch eine liebevolle Randnotiz wert.

Papageiendame Julietta ist ausgesprochen klug, gebildet und belesen. Deshalb schreibt, pflegt und behütet sie auch seit vielen, vielen Jahrzehnten das große Buch der Geschichte Haitis. Monat für Monat wird es mit den wichtigsten Ereignissen und Entwicklungen der bitterarmen Karibikinsel ergänzt. Viele traurige Begebenheiten sind darin enthalten, wie zum Beispiel die schrecklichen Erdbeben und Orkane, die die Insel im Laufe der Jahrhunderte mehrfach verwüstet haben und auch in der Gegenwart für unfassbare Armut, Not, Elend und große Trauer verantwortlich sind. Viel zu selten gab es Schönes und Tröstliches zu berichten, was unsere verehrte Papageienlady dann allerdings mit besonderer Freude „ihrem“ Geschichtsbuch anvertraute.

Kurz vor Weihnachten lädt Julietta seit Jahrzehnten alle ihre Kinder, Enkel und Urenkel zu einem Adventstreffen auf ihrer Lieblingspalme ein, erzählt aus ihrem bewegten Leben und liest aus dem „Buch der Bücher“ Haitis vor. So war es auch im Advent 2016. Insgesamt hatten sich 94 ihrer Nachkommen versammelt, um ihr zu lauschen. Mucksmäuschenstill war es, versteht sich!

Pele und Selecao bewunderte Vorbilder auf Haiti

Julietta räusperte sich vernehmlich und begann: „Heute erzähle ich eine Geschichte, an die sich einige von Euch vielleicht noch erinnern. Ihr wisst ja, welche Bedeutung der Fußball auf Haiti hat, seit wir 1974 an der Weltmeisterschaft in Deutschland teilnehmen durften. Unser Trainer hieß damals „Didi“ und war eine brasilianische Fußball-Legende. Er hat viel für unsere Insel getan. Einmal lud er seinen noch berühmteren Freund Edson Arantes do Nascimento ein, den wir alle nur als Pele kennen. Pele trainierte unsere Mini-Kicker, wurde ihr Idol und die brasilianische Nationalmannschaft das bewunderte Vorbild aller unserer kleinen und großen Fußballfans! Das ist, wie ihr wisst, bis heute so geblieben.“

Julietta machte eine gekonnte Kunstpause, um ihre Worte wirken zu lassen. Alles hörte ihr gebannt zu. „Gut so“, dachte sie und hob erneut an:

„Leider ist Haiti eine sehr, sehr arme Insel. Das liegt daran, dass wir von so vielen Naturkatastrophen heimgesucht werden. Und mit dem, was dann noch übrigblieb, haben unsere korrupten Politiker früher ein großes privates Vermögen angesammelt und es sich gut gehen lassen. Das war auch unter Präsident Aristide so, der im Februar 2004 durch einen Aufstand gestürzt wurde. Sein Nachfolger hatte viele gute Absichten und versprach eine bessere Zukunft. Die Privatarmee des gestürzten Aristide jedoch gab keine Ruhe, rebellierte im Untergrund und trug einen blutigen Bürgerkrieg in unser Land. Als ob wir nicht schon genug Probleme hatten.

Freundschaftsspiel warb für Ende des Bürgerkrieges

Da entwickelte unser neues Staatsoberhaupt einen tollen Plan. Er vereinbarte in Rio de Janeiro mit seinem dortigen Kollegen Lula, dass die brasilianische Nationalmannschaft, die zwei Jahre zuvor zum fünften Mal Weltmeister geworden war, in bester Besetzung in Port-au-Prince, unserer Hauptstadt, gegen uns Fußball spielen sollte. Auch die UNO und die FIFA gaben ihr okay, denn das Ziel des Spieles sollte es sein, für ein Ende des Bürgerkrieges zu werben. Als dieser Plan bekannt wurde, ging ein erwartungsvolles Raunen durch unser Land. Die großen, die unschlagbaren, die angebeteten Weltmeister wollten in Haiti für den Frieden spielen? Sicher war: Wenn sie wirklich kämen, würden zumindest am Spieltag die Waffen schweigen. Und vielleicht wäre danach ja tatsächlich ein Ende des Bürgerkrieges möglich. Man hielt die Luft an und traute sich kaum, weiterzudenken. Von Stund an jedoch durchzog ein frommer Wunsch das Land!

Aber aus dem Hintergrund erklang die skeptische Stimme der ewig nörgelnden Enkelin einer gewissen Cassandra, die es von Troja nach Haiti verschlagen hatte: „Und wo sollen sie spielen, verdammt noch mal“? Sie hatte recht: Wir hatten noch nicht einmal ein richtiges Stadion.  Aber das war in Wahrheit das kleinste Problem.

Fußballstadion wurde eigens errichtet

Als Termin für das große Match wurde der 18. August 2004 ausgeguckt. Pünktlich um 14.30 Uhr standen die beiden Teams in der förmlich aus dem Boden gestampften „Sylvio-Cator-Arena“ auf dem Platz.Zuvor waren die Spieler der legendären Selecao auf offenen Schützenpanzerwagen der UNO durch Port-au-Prince gefahren. Das wurde ein Autokorso der besonderen Art. Ronaldo, Ronaldinho, Roberto Carlos und die anderen Superstars hatten große Fahnen, bedruckt  mit Friedenstauben, um ihre Schultern gelegt. Zehntausende jubelten ihnen begeistert zu. Riesige Fotos der Gäste hingen überall in den Straßen. Darunter stand: “Unsere geliebten Brüder, unsere Idole, unsere ewigen Helden!“ Und die gefürchteten Rebellen verbreiteten tatsächlich eine Botschaft über die Medien, die da lautete: “Für Euch legen wir unsere Waffen nieder. Wir lieben Euch!“ Die bange Frage lautete: Würde man sich auch nach dem Spiel an das Versprechen erinnern?

Vor dem Anpfiff brachten Waisenkinder aus Haiti den angehimmelten Gästen Blumen in die Kabinen. Bei Ronaldo, Ronaldinho und ihren Kollegen flossen Tränen der Rührung. Stammten doch auch sie zumeist aus den Favelas, den brasilianischen Armenvierteln.

Nach unvergesslichen 90 Minuten siegte unser Gast mit 6:0. Das war aber nicht schlimm und konnte natürlich auch nicht weiter verwundern. Hatte doch die Nr. 1 der Welt gegen den 95. der FIFA-Rangliste gespielt.

6:0 Niederlage beendete den Bürgerkrieg

Über den Besuch der Selecao wurde auf Haiti noch monatelang mit größter Begeisterung, ja Bewunderung, gesprochen. Und in der Tat fühlten sich auch die Rebellen an ihr Versprechen gebunden, legten am Tag nach dem  Match die Waffen nieder und beendeten damit den Bürgerkrieg.

Der Fußball hatte ein Wunder bewirkt, das die Menschen noch heute wie eine heilige Reliquie in ihrem Herzen tragen!“

Die Papageiendame Julietta schloss ihr großes Buch der Geschichte Haitis, schaute in die ergriffene Runde ihrer Kinder, Enkel und Ur-Enkel und wischte sich mit dem linken Flügel eine kleine Träne der Rührung aus dem Auge. So ging es ihr immer, wenn sie vom Besuch der brasilianischen „Friedenstauben“ auf ihrer geliebten Insel erzählte. Und ganz leise fügte sie hinzu: „Gott segne Haiti!“

Frohe Weihnachten 2016!

HSC

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