Orchideen-Experten: Ökologisches Kleinod durch falsche Pflege bedroht
Der Orchideen-Experte Werner Hessel wirft der Gemeinde vor, eine äußerst seltene Orchideenart in Holzwickede durch falsche Pflege und Ignoranz zu gefährden.
Nur den wenigsten Holzwickedern dürfte überhaupt bekannt sein, dass an vielen Stellen im Gemeindegebiet heimische Orchideen gibt. Dass einige der Arten auf dem Standortübungsplatz in Hengsen und Opherdicke heimisch sind, dürfte kaum überraschen. Aber auch an vielen anderen Standorten wie etwa ndem Hixterwald, im Naturschutzgebiet Bahnwald und sogar an der Allee am Marktplatz kommen heimische Orchideen wie der breitblätttrige Stendelwurz vor.
Ein wirklich einzigartiger Standort liegt jedoch in der Nähe der Schäferkampstraße im Sölder Bruch: Auf dieser rund vier Fußballfelder großen gemeindeeigenen Brache, die ursprünglich als Ausgleichsfläche für das nahe Gewerbegebiet vorgesehen war, wächst das seltene Hybrid-Knabenkraut, ein „Mischling“ zwischen dem Gefleckten und dem Breitblättrigem Knabenkraut. Diese Orchideenpopulation ist wirklich einzigartig im Kreis Unna und so selten, dass sie unter ganz besonderem Schutz des Gesetzgebers steht. Bernd Margenburg, Kreisbeauftragter für den Orchideenschutz und Vorsitzender der Kreisgruppe des Naturschutzbundes (NABU) sowie sein Mitstreiter, der Botaniker Dr. Götz Loos, schwärmen von „blühenden Kostbarkeiten“, die da in dem Landschaftsschutzgebiet mit der kleinen Feuchtwiese an der Schäferkampstraße vorkommen und eines besonderen Schutzes bedürfen.
Trotz Verbots zu früh, zu spät oder gar nicht gemäht
Doch ausgerechnet mit der Wahrung dieses ökologischen Kleinods hat die Gemeinde große Probleme: Kritiker wie der Holzwickeder Orchideen-Experte Werner Hessel, der die Hybridpopulation in dem Biotop an der Schäferkampstraße im Jahr 2010 entdeckte, werfen der Gemeinde vor, das ökologische Kleinod zunächst durch Unkenntnis, später durch unsachgemäße Pflege und Ignoranz zu zerstören. Der Grund: Die seltene Orchideenart bedarf einer relativ aufwendigen Pflege, die die Gemeinde bisher nicht gewährleistet hat. „Das Hybrid-Knabenkraut benötigt einen nährstoffarmen Boden und ist sehr konkurrenzschwach“, erläutert Werner Hessel. Damit sich das Knabenkraut gegen Schwarzerlen, Disteln und andere Nährstoffkonkurrenten auf der Brache durchsetzen kann, muss der Standort idealerweise im Juli/August gemäht werden und das Mahdgut auch vollständig entfernt werden, empfehlen auch andere Experten. Nach dem Bundesnaturschutzgesetz darf ein frühzeitigerer Schnitt während der kurzen Blütezeit der streng geschützten Orchideenbestandes deshalb nicht durchgeführt werden.
Orchideenwiese ist in „erbärmlichen Zustand“
Daran hat sich die Gemeinde allerdings bislang noch nie gehalten. Gemäht wurde das Flurstück vor 2012 durch einen Pächter entweder viel zu früh (im Juni) oder danach durch die Gemeinde viel zu spät (im November) oder überhaupt nicht. Denn im Vorjahr wurde ausgerechnet die Feuchtwiese, auf der einige der seltenen Orchideen stehen, bei der Mahd komplett ausgespart. Die Folge: Als Bernd Margenburg zuletzt vor zwei Jahren den Standort besuchte, sprach der Orchideenbeauftragte des Kreises anschließend von einem „erbärmlichen Zustand“ der Ausgleichsfläche und informierte auch das Kreis-Umweltamt. Die Disteln wuchsen dort zwei Meter hoch und von einer Wiese könne eigentlich gar nicht mehr die Rede sein. „Seitdem ist der Zustand der Wiese sogar noch schlimmer geworden“, weiß Werner Hessel, der vor Ort im Auftrag Intresse des NABU alle Orchideenstandorte im Auge behält und den Zustand der Wiese im Sölder Bruch penibel dokumentiert hat.
Wenn da nicht bald etwas passiert, wird diese äußerst seltene Orchideenart für immer ganz verloren gehen“
Werner Hessel, Orchideen-Experte des NABU in Holzwickede
Per Bürgerantrag konnte Werner Hessel im Jahr 2012 verhindern, dass die Ausgleichsfläche wie zunächst vorgesehen aufgeforstet wird. Nicht verhindern konnte der Orchideen-Experte aber bislang, dass der Standort an der Schäferkampstraße bis heute zur Unzeit oder gar nicht gemäht wurde. „Wenn da nicht bald etwas passiert, wird diese äußerst seltene Orchideenart für immer ganz verloren gehen“, fürchtet Werner Hessel. Doch offenbar sei die Gemeinde beratungsresistent.
In der Verwaltung hat Fachbereichsleiter Jens-Uwe Schmiedgen die Angelegenheit inzwischen zur Chefsache erklärt. Die Umweltbeauftragte der Gemeinde, Ulrike Hohendorff, darf sich dazu nicht mehr öffentlich äußern. „Es gibt einen Pflege- und Mähplan, der mit dem Kreis-Umweltamt abgestimmt ist, daran halten wir uns“, so der Fachbereichsleiter knapp. „Danach wird die Wiese in diesem Jahr im Juli gemäht.“ Im Kreishaus will man allerdings nichts von einer Abstimmung mit dem Kreis-Umweltamt wissen. „Mähplan ist vielleicht etwas hochgegriffen“, hieß es dort auf Nachfrage. „Es gibt Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen der Gemeinde Holzwickede, für die auch Pflegemaßnahmen vorher festgelegt werden. Aber federführend ist hier die Gemeinde. Wie Pflegemaßnahmen umgesetzt werden, ist allein Sache der Gemeinde.“
Es gibt einen Pflege- und Mähplan, der mit dem Kreis-Umweltamt abgestimmt ist, daran halten wir uns.“
Fachbereichsleiter Jens-Uwe Schmiedgen
Möglicherweise liegt das Problem inzwischen auch ganz woanders. Denn um die Brache mit der Feuchtwiese, auf der die Gehölze inzwischen schon meterhoch stehen, überhaupt noch mähen zu können, wird ein Balkenmäher oder Freischneider benötigt. Über ein solches Gerät verfügt der Baubetriebshof der Gemeinde aber gar nicht. Deshalb muss die Pflege der einzigartigen Orchideenwiese an der Schäferkampstraße dieses Jahr wohl wieder einem Landwirt übertragen werden.
Information:
Alle heimischen Orchideenarten sind streng geschützt. Man darf sie weder pflücken, noch
ausgegraben. Auch das Entnehmen von Saatgut ist verboten. Es gilt ein absolutes Entnah-
meverbot aus der Natur. Die bei Ausnahmeregelungen (z.B. für wissenschaftliche Zwecke)
entnommenen Exemplare unterliegen dem Vermarktungsverbot. Der Besitz ist demzufolge
immer nachweispflichtig. Ausgraben oder Umsetzen lassen sich Orchideen ohnehin nicht. Das Ausgraben von Orchideen bedeutet vielmehr für diese den sicheren Tod, weil Orchideen in einer Symbiose mit bestimmten Bodenpilzen leben. Da ihr Samen kein Nährgewebe besitzt, sind Orchideen besonders bei der Keimung von den Bodenpilzen abhängig. Der Pilz ummantelt den Samen, dringt in ihn hinein und versorgt den Keimling mit Nährstoffen und übt eine Schutzfunktion aus.