Modell für Berlin: Wie man Großprojekte wie den Emscher-Umbau auf Kurs hält
Ein Bahnhof im Süden, ein Flughafen im Osten und ein Konzerthaus im Norden – im Zuge der Debatte über diese Bauvorhaben ist der Eindruck entstanden, Deutschland könne keine Großprojekte. Dass dem nicht so ist, beweist ein Blick in den Westen: Bereits seit 1992 plant und setzt der öffentlich-rechtliche Wasserwirtschaftsverband Emschergenossenschaft in einem Mammutprojekt den Umbau des Em-scher-Systems um. Die Metropolregion Ruhrgebiet, einer der größten Ballungsräume Europas, erhält eine neue und moderne wasserwirtschaftliche Infrastruktur. Die Emschergenossenschaft investiert 4,5 Milliarden Euro in dieses öffentliche Großprojekt, das über 20 Jahre nach seinem Start, was Kosten und Zeit angeht, noch immer in der Spur ist. Verantwortlich dafür ist ein genaues Projektmanagement und Controlling – intern und extern. Details dazu präsentierte die Emschergenossenschaft am Donnerstag voriger Woche 23.4.) gemeinsam it Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und NRW-Bauminister Michael Groschek in der NRW-Landesvertretung in Berlin vor einem Publikum aus Bundespolitik und Wirtschaft.
Seit 1992 noch immer im Kosten- und Zeitplan
Im Rahmen des Umbaus der Emscher werden rund 400 Kilometer (!) an neuen unterirdischen Abwasserkanälen verlegt – teilweise in bis zu 40 Meter Tiefe. Die Emscher, der zentrale Fluss des Ruhrgebiets und heute in weiten Teilen noch ein offener Schmutzwasserlauf, wird gemeinsam mit ihren Nebenflüssen aufwändig renaturiert. Insgesamt entstehen neue Flusslandschaften auf einer Länge von 350 Kilometern – sie fließen nach der Quelle in Holzwickede unter anderem durch Großstädte wie Dort-mund, Bochum, Gelsenkirchen, Essen, Duisburg oder Oberhausen.
Messlatte für die Kosteneinhaltung ist die grundlegende Rahmenkostenschätzung, die die Emschergenossenschaft zu Beginn des Projektes 1992 erarbeitet hat. Diese Kostenschätzung hat sich bis heute als belastbar erwiesen. 1992 wurde ein Gesamtbudget von 8,7 Milliarden Deutsche Mark ermittelt, später umgerechnet auf 4,5 Milliarden Euro. „In über 20 Jahren hat sich allerdings im Umfeld des Emscher-Umbaus viel getan. Verschiedene externe Einflussfaktoren haben den Kostendruck erhöht. Dazu gehören insbesondere drei Mehrwertsteuererhöhungen, von ursprünglich 14 auf heute 19 Prozent“, sagt Dr. Jochen Stemplewski, der als Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft das Großprojekt von Beginn an mit verantwortet.
Vorausschauend entscheiden und Kostenrisiko einplanen
„Es war gut und richtig, dass wir seit Beginn des Projektes kontinuierlich und mit Erfolg gegen diese Kostensteigerungen eingearbeitet haben“, sagt Stemplewski. Zumal in dieser Zeit allgemeine Baupreissteigerungen von insgesamt rund 21 Prozent zu verzeichnen waren. Rückblickend war es auch eine richtige Entscheidung, in das Projektbudget vorausschauend auch Kostenrisiken mit einfließen zu lassen: So wurden zu Beginn des Emscherumbaus in das Budget von damals 8,7 Milliarden DM mit rund einer Milliarde DM mehr als zehn Prozent des Kostenrahmens für diese Risiken eingeplant worden. Dies, so Stemp-lewski, sollte grundsätzlich bei allen Projekten mit langen Planungs- und Realisierungszeiten geschehen.
Um ein Großprojekt wie den Emscher-Umbau finanziell als auch zeitlich in der Spur zu halten, war zunächst jedoch ein „interner Umbau“ notwendig. „Verkürzt kann man sagen, dass wir parallel zum Emscher-Umbau in den 1990ern auch die Emschergenossenschaft umgebaut haben“, so Stemplewski. Dazu gehörte die Einführung moderner kaufmännischer und technischer Controlling-Instrumente und die Einführung eines konsequenten Projektmanagements.
Controlling: intern und extern
Permanent führt die Emschergenossenschaft ein kontinuierliches – internes und externes – Controlling durch: Leistungs-, Zeit- und Kostenkontrollen in Form von sogenannten Ampel-Berichten. „Wenn Gefahr droht, dass der grüne Bereich verlassen wird, setzen wir gegensteuernde Maß-nahmen ein. Damit halten wir die Projekte in ihrem vorgesehenen Rahmen in der Spur“, sagt Stemplewski. Als Auftraggeber und Bauherr muss man die Fäden des Projektes in der Hand behalten, das Großprojekt vom Anfang (das heißt, von der Idee bis zur Vorplanung) bis zum Ende (der Schlussrechnung) wirksam steuern, es nicht nur anstoßen und geschehen lassen – oder gar von anderen Interessenten oder Auftragnehmern (Bauunternehmen) getrieben werden. „Es gibt nicht-delegierbare Bauherren-Aufgaben, insbesondere die Verfolgung und Steuerung von Kosten, Zeit und Leistungsqualität, die man keinesfalls aus der Hand geben darf“, erklärt Stemplewski. Diese Verantwortung kann nicht originär von anderen wie z. B. externen Projektsteuerern übernommen und vertreten wer-den. „Projektsteuerer können kompetente Unterstützung für den Bauherren und Auftraggeber leisten – sie können aber nicht seine Rolle übernehmen.“
Für den Zeitfaktor spielt jedoch auch die Durchführung der Genehmigungsverfahren eine wichtige Rolle. Dazu steht die Emschergenossenschaft in enger Abstimmung mit den Wasserbehörden. Laut Fichtner sei der Emscher-Umbau „ein Projekt von bemerkenswerter Konstanz, Termineinhaltung und Kostentreue“.
Keine Geheimniskrämerei: offensiv informieren
Zum guten Ansehen des Großprojekts beigetragen hat sicherlich auch die stets offene und offensive Kommunikation des Generationenvorhabens durch die Emschergenossenschaft. „Es ist uns gelungen, den Nutzen des Projektes und den Mehrwert für die Menschen zu vermitteln – und sie damit auch für das Projekt zu begeistern. Die verständliche Erläuterung und Visualisierung der Planungen von Anfang an war eine unverzichtbare Voraussetzung“, so Stemplewski, „Offenheit und Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit waren auch in allen späteren Projektphasen von enormer Bedeutung. Die regelmäßige Berichterstattung zu Zeit, Kosten und Qualität nach innen und außen gehört dazu genauso wie die Kommunikation von erreichten Meilensteilen und Erfolgen, aber auch das offene Ansprechen von Schwierigkeiten oder Verzögerungen. Die Erfahrungen zeigen, dass Geheimniskrämerei überhaupt nicht hilft, sondern vielmehr einen quälenden Eindruck von Inkompetenz hinterlässt.“
Die Erfahrungen zeigen, dass Geheimniskrämerei überhaupt nicht hilft, sondern vielmehr einen quälenden Eindruck von Inkompetenz hinterlässt.“
Dr. Jochen Stemplewski, Vorstandsvorsitzender Emschergenossenschaft
Diese bislang positiven Erfahrungen mit dem Großprojekt präsentierte Dr. Jochen Stemplewski gemeinsam mit Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes NRW im Rahmen des Themenabends „Der Emscher-Umbau: Stadtentwicklung und Umweltgestaltung im Strukturwandel. Ein erfolgreiches öffentliches Großprojekt.“ Groschek, der als Oberhausener den Emscher-Umbau bereits seit vielen Jahren bestens kennt, sagt: „Die Renaturierung der Emscher ist eines der symbolträchtigsten Strukturwandelprojekte im ehemaligen Kohlenrevier.“
Auch in Holzwickede, der Quellgemeinde der Emscher, ist im Rahmen der Renaturierung einiges passiert. Die Emschergenossenschaft hat von 2009 bis 2010 unter anderem die Emscher im zentralen Gemeindepark erheblich aufgewertet. In der der Gemeinde Holzwickede plant die Genossenschaft im Rahmen des Emscher-Umbaus Investitionen in Höhe von insgesamt 22 Millionen Euro. Davon wurden bislang rund 19 Millionen Euro eingebracht. Von insgesamt sechs Kilometern der Emscher in Holzwickede wurden bereits fünf Kilometer umgestaltet, der letzte Kilometer folgt voraussichtlich im kommenden Jahr.
Hintergrund:
Die Emschergenossenschaft wurde 1899 in Bochum als Deutschlands erster Wasserwirt-schaftsverband gegründet. Ihre Aufgaben sind seitdem unter anderem die Unterhaltung der Emscher, die Abwasserentsorgung und -reinigung sowie der Hochwasserschutz. Wegen der durch den Bergbau verursachten Erdsenkungen im mittleren Ruhrgebiet sind unterirdische Kanäle früher nicht möglich gewesen, da sie bei Bergsenkungen beschädigt worden wären. Daher wurden die Emscher als zentraler Fluss des Ruhrgebiets und ihre Nebenbäche als offene Schmutzwasserläufe verwendet. Seit Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre hat sich die Lage jedoch geändert. Nach der Nordwanderung des Bergbaus sind auch keine Bergsenkungen mehr zu befürchten, so dass nun auch unterirdische Abwasserkanäle gebaut werden können. Seit 1992 plant und setzt die Emscherge-nossenschaft den Emscher-Umbau um. Jedes Gewässer erhält ein unterirdisches Pendant, durch das die Abwässer zu den Kläranlagen abgeleitet werden. Die oberirdischen Bäche sind damit abwasserfrei und können anschließend naturnah umgebaut werden: Die Betonsohlschalen werden entfernt, die Böschungen weiter und vielseitiger gestaltet. Dort, wo der Platz es zulässt, erhalten die einst technisch begradigten Flüsse wieder einen kurvenreicheren Verlauf.
Der Emscher-Umbau dauert bis 2020. Über einen Zeitraum von rund 30 Jahren investiert die Em-schergenossenschaft insgesamt 4,5 Milliarden Euro. Seit Beginn der 90er-Jahre wurden bis heute rund drei Milliarden Euro ausgegeben. Rund 290 von 400 Kanalkilometern sind bislang verlegt worden, knapp 130 von 350 km an Gewässerläufen wurden schon ökologisch verbessert. Der Oberlauf der Emscher und ihre Nebenläufe in Dortmund sind bereits seit Anfang 2010 auf einer Länge von etwa 24 km komplett abwasserfrei – und heute weitestgehend bereits renaturiert, ebenso auch die früheren Emscher-Arme Alte Emscher und Kleine Emscher im Raum Duisburg.
Das Herzstück des Emscher-Umbaus ist der Abwasserkanal Emscher (AKE), der nach 2017 das Schmutzwasser aus den Zuflusskanälen aufnimmt. Der Spatenstich für den AKE ist im September 2009 erfolgt, derzeit läuft der Hauptbau. 51 km lang wird er sein und von Dortmund bis nach Dinslaken führen. Der Abwasserkanal wird aus Stahlbeton-Kanalrohren mit Innendurchmessern zwischen 1,60 und 2,80 m bestehen. In zehn bis 40 m Tiefe fließt das Abwasser mit einer Geschwindigkeit von vier Kilometern in der Stunde. Einmal in Betrieb genommen wird der Abwasserkanal trennen, was nicht zusammen gehört: Sauberes Fluss- und Regenwasser wird offen in und durch die Emscher fließen, das Abwasser dagegen unterirdisch im Kanal transportiert.