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Streit unter Flüchtlingen in Notunterkunft: Verfahren gegen Iraner eingestellt

Wenn es darum geht, die Flüchtlingsproblematik zu dramatisieren, wird von geneigter Seiter gerne darauf verwiesen, dass es immer wieder zu kriminellen Zwischenfällen in den Unterkünften kommt. Dass es sich in der Regel dabei nur um Bagatellen und keine schwerwiegenden Straftaten handelt, wird von den Demagogen gerne unterschlagen.

Wirklich überraschend ist bei näherer Betrachtung der Umstände, unter denen die Flüchtlinge und Asylbewerber in den Notunterkünften oft monatelang leben müssen, nur, dass es nicht noch viel häufiger zu Gewaltausbrüchen und Straftaten kommt.

Auch in Holzwickede ist es am 17. Dezember 2015 spät in der Nacht in der Notunterkunft an der Bahnhofstraße 25 zu einem Streit gekommen, der einen der Beteiligten heute (13. Oktober) wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung auf die Anklagebank des Amtsgerichtes Unna brachte.

Der 34-jährige Iraner soll in der Tatnacht ziemlich angetrunken nach einem Streit auf einen syrischen Mitbewohner mit dem Brotmesser und den Worten „I will kill you!“ losgegangen sein.

Auf Anklagebank wollte der 34-Jährige heute, übersetzt von einem Dolmetscher, nichts von einem derartigen Angriff mit einem Messer wissen. Wohl aber konnte er sich an den Streit erinnern: In der Unterkunft an der Bahnhofstraße habe er damals mit fünf anderen Männern, zumeist Syrer, in einem kleinen Raum gelebt. Als einziger Iraner habe er seine Mitbewohner nicht verstehen können, weiler ihr Sprache nicht spricht. Lediglich einige Sprachbrocken von zwei Mitbewohnern, die kurdisch sprechen, habe er verstehen können. In der fraglichen Nacht habe er mit insgesamt sechs Mitbewohnern in dem gemeinsamen Raum der Unterkunft gefeiert. Es sei Alkohol getrunken und auch „Gras“ geraucht worden.

Trotz Sprachbarriere Streit unter Mitbewohnern

Schließlich habe es Streit gegeben. Trotz der Sprachbarriere will der Iraner Schimpfwörter verstanden und auch mitbekommen haben, wie man seine Mutter beleidigt habe. Er habe jedoch kein Messer in die Hand genommen, beteuerte der Angeklagte. „I will kill you“, habe er möglicherweise gesagt. Das sei eine im Iran gebräuchliche Redensart, die nicht ernst gemeint sei. Woran sich der Iraner aber noch lebhaft erinnern kann: Er habe sich im Streit sechs Männern gegenüber gesehen, deren Sprache er nicht versteht und verloren gefühlt. Als die Polizei an der Unterkunft eintraf, traf sie habe sie ihn weinend auf der Erde sitzend angetroffen.

Der 30-jährige Syrer, den der Angeklagte bedroht haben soll, war in seiner Heimat als Bankkaufmann tätig, bevor er vor dem Krieg flüchten musste. Als Zeuge äußerte er sich heute, ebenfalls mit Hilfe einer Dolmetscherin, erstaunlich sachlich zum Geschehen. Eigentlich habe er nicht viel mitbekommen, weil er geschlafen habe. Die anderen Männer hätten in seinem Raum gefeiert. Er selbst habe nicht mitgefeiert, weil es schon spät war und er anderntags fünf Stunden hatte. Alkohol habe er noch nie in seinem Leben getrunken. Ein Mitbewohner habe ihn dann geweckt, weil der Angeklagte draußen vor der Tür etwas von ihm wolle. Aus Neugier sei er nach draußen gegangen, wo der betrunkene Iraner mit dem Messer und besagter Drohung auf ihn losgegangen sei. Einige Männer hinter ihm hätten die Situation dann irgendwie entschärft.

„Sie kommen zu uns aus Syrien, um ihre Ruhe zu haben und leben hier in Obhut des Staates. Dabei werden Sie dann mit einem Messer bedroht – da würden Sie als Staatsdiener ein solches Verfahren doch auch nicht so einfach einstellen.“

Amtsrichter Christian Johann

Wer die Polizei gerufen oder Anzeige erstattet hat, weiß der Syrer nicht. Er selbst hat das nicht getan – und hätte es auch nicht getan, wie er sagte. „Ich möchte nur meine Ruhe haben.“ Groll hege er nicht gegen den Angeklagten, der sich zwei Wochen nach dem Vorfall auch persönlich bei ihm entschuldigt habe. Überhaupt hätten kein Problem mehr miteinander. Wenn man sich auf der Straßpe treffe – der Iraner ist inzwischen in eine andere Unterkunft verlegt – , grüße man sich ganz normal, so der Zeuge.

Kein Schaden entstanden, Konflikt beigelegt und die Streithähne haben kein Problem mehr miteinander – warum Richter Christian Johann das Verfahren trotzdem nicht so einfach einstellen wollte, erläuterte er dem Syrer in einer kurzen Verhandlungspause: „Sie kommen zu uns aus Syrien, um ihre Ruhe zu haben und leben hier in Obhut des Staates. Dabei werden Sie dann mit einem Messer bedroht – da würden Sie als Staatsdiener ein solches Verfahren doch auch nicht so einfach einstellen.“ Nachdem aber die Staatsanwaltschaft ebenfalls einer Einstellung zustimmte, stellte das Gericht das Verfahren wegen versuchter geföhrlicher Körfperverletzung mit Blick auf ein anderes Verfahren ein: Der angeklagte Iraner hat nämlich bereits per Strafbefehl eine Geldstrafe von 200 Euro aufgebrummt bekommen, weil er in angetrunkenem Zustand einem Sanitäter, der ihm helfen wollte, einen Faustschlag verpasst hat. Diese Geldstrafe, die er nun von den 300 Euro, die er monatlich vom Sozialamt erhält, bezahlen muss, erachtete das Gericht als Strafe genug. Zumal der Iraner für 20 Tage hinter Gitter muss, wenn er diese Geldstrafe nicht bezahlen sollte.

versuchte geföhrliche Körperverletzung


Peter Gräber

Dipl.-Journalist

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